Himmel über dem Kilimandscharo
lehnte den Rücken gegen einen der schlanken Stämme und schloss die Augen. Kaum vernehmbar knisterten die Palmzweige über ihr in der Brise, sacht rauschte und gluckste das Meer in immer wiederkehrendem Rhythmus, irgendwo in weiter Ferne, mehr spürbar als hörbar, brodelte dumpf das Leben der Stadt. Sie atmete tief ein, wollte den salzigen Geruch des Ozeans in sich einsaugen, doch es war ein anderer Duft, der vom Land zu ihr herübergetragen wurde. Der scharfe und zugleich süßliche Geruch der blühenden Nelkenbäume, das weiche Aroma von Zimt, der herbe Duft der Muskatblüte…
Sie blinzelte zur Klinik hinüber, doch dort waren nur ein paar dunkelhäutige Kinder zu sehen, die am Strand irgendetwas in Körbe sammelten, das sie nicht erkennen konnte. Draußen auf dem Meer zog jetzt der Küstendampfer vorbei, der am Abend kurz vor Einbruch der Nacht in Daressalam anlegen würde. Für einen Augenblick überließ sie sich einem kleinen Schatten, der auf ihre glückliche Stimmung gefallen war und der mit der schönen Abessinierin in Georges Haus zu tun hatte. Sie war seine Bedienstete, vermutlich hielt sie die Räume sauber, vielleicht kochte sie auch für ihn. Es waren wohl der stolze Blick und die aufreizende Körperhaltung dieser Frau, die sie andere, nahezu unvorstellbare Gedanken hegen ließen. Beschämt über sich selbst, blickte sie wieder zu dem weißen, leuchtenden Bau der Klinik hin– und tatsächlich erkannte sie jetzt einen hochgewachsenen, sehr schlanken Mann, der eben zum Strand hinabging.
Als er sie sah, winkte er und setzte sich in Trab, lief auf sie zu wie ein unbeschwerter Knabe. War das wirklich der Mann, dessen widersprüchliche Schriften sie vorhin so aufgewühlt hatten? Er bewegte sich in weiten, mühelosen Sprüngen über den Sand, erwischte den hellen Strohhut gerade noch, bevor er ihm vom Kopf geweht wurde, und lachte herzhaft über sich selbst. Charlotte fiel ein, dass sie barfuß war, und sie beeilte sich, ihre Schuhe wieder überzustreifen.
» Komm!«, sagte er und streckte ihr den Arm entgegen. » Lass uns ein wenig am Meer entlanggehen.«
Die Aufforderung hatte etwas Unwiderstehliches, und so zögerte sie nicht, ihm die Hand zu reichen und sich von ihm auf die Füße ziehen zu lassen. Sein Griff war fest, und er hielt ihre Hand noch eine kleine Weile umschlossen, als sie schon vor ihm stand.
» Ich könnte mir morgen Vormittag freinehmen, und wir reiten ins Inselinnere«, schlug er vor. » Ich zeige dir die Gewürzpflanzungen und den Urwald. An manchen Orten befinden sich verfallene Paläste, von Pflanzen halb überwuchert; dort lebt die Erinnerung an die Zeiten, als die Inseln noch den Omanis allein gehörten und der Handel mit afrikanischen Sklaven den Sultan noch reicher machte als der Gewürzhandel.«
» Das wenigstens war eine gute Entscheidung der Engländer«, meinte sie. » Auch die Deutschen haben den Sklavenhandel verboten und Buschuris Aufstand vor einigen Jahren niedergeschlagen.«
Er war ihr voraus zum Meer gegangen, das sich jetzt merklich zurückzog, es war Ebbe. Der Sand war feucht, so dass man nicht allzu tief einsank, hin und wieder schwappte eine vorwitzige Welle über Georges helle Stoffschuhe, was ihn jedoch nicht im Mindesten störte.
» Du hast recht«, erwiderte er nach einigem Zögern. » Und doch schaffen es die Sansibarer, die Verbote zu unterlaufen. Das Geschäft ist allzu einträglich– täglich und überwiegend nachts werden schwarze Afrikaner vom Festland nach Sansibar und von dort aus weiter in die Sklaverei verschleppt.«
Sie hatte davon gehört, es aber nicht glauben wollen. Der Wind trug den Duft der Nelkenblüten heran, reife Süße und herbe Bitternis, ein Aroma, das die Sinne gefangen nahm, genau wie diese Insel in ihrer unschuldigen Schönheit, die doch von Gewalt und Elend unterwandert war.
» Das Paradies ist zugleich auch der Ort, an dem die Sünde ihren Anfang nahm«, sagte George leichthin. » Es gibt auf Erden niemals das eine ohne das andere. Vielleicht ist es gut so– wer weiß?«
Er sah sie blinzelnd von der Seite an, als wolle er herausfinden, wie sie diese Worte aufnahm.
» Was sollte daran gut sein?«, fragte sie kopfschüttelnd.
» Nun– das Leben ist nun einmal so eingerichtet, Charlotte. Wir alle sind wie diese Insel. Unschuldig und zu edlen Taten fähig und zugleich auch sündig, kleinmütig, eigensüchtig. Wir sollten weder uns selbst noch diese Insel hassen, sondern sie trotz ihrer Unvollkommenheit lieben.«
Das
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