Himmel über dem Kilimandscharo
klang vernünftig, obgleich der Großvater sicher anderer Meinung gewesen wäre, denn für ihn war der Mensch von Geburt an durch und durch sündig und daher auch nicht liebenswert, er konnte aber mit Christi Hilfe von seiner Sünde erlöst werden.
Noch während sie überlegte, was sie auf seine Worte erwidern sollte, war sein Ernst unvermittelt in Übermut umgeschlagen. Wie ein kleiner Junge fasste er ihre Hand und begann zu rennen, zog sie hinter sich her, bis sie sich losriss, dann wandte er sich lachend zu ihr um.
» Nun komm schon, Charlotte!«, rief er ihr zu. » Zieh die Schuhe wieder aus. Ich tue es auch.«
» Die… die Schuhe?«
Noch ganz außer Atem von dem unvermittelt raschen Lauf, versuchte sie, den verrutschten Strohhut wieder zurechtzuschieben.
» Die Schuhe!«, beharrte er grinsend. » Du hattest sie vorhin schon ausgezogen, ich habe es genau gesehen.«
Mit ungeduldigen Bewegungen streifte er seine eigenen Schuhe von den Füßen, klemmte sie unter den Arm und nickte ihr auffordernd zu.
» Aber ich…«, stammelte sie ratlos.
» Nur Mut. Es wird dich niemand deshalb steinigen!«
Es war etwas Verschmitztes in dem Blick, mit dem er sie von oben bis unten maß, eine Herausforderung, bei der ihr unbehaglich wurde. Das war nicht der George, der sie mit seinen Schriften so fasziniert hatte, und doch war er es. Aber hier war er körperlich präsent, sie fühlte seine Anziehung, hörte sein Lachen, hatte den festen Griff seiner Hand zu spüren bekommen.
Er hatte nicht viel Geduld, sondern hockte sich vor sie in den Sand und machte sich an ihren Füßen zu schaffen. Mit geschickten Händen befreite er sie von dem schützenden Leder, erhob sich mit triumphierendem Grinsen und reichte ihr die braunen Halbschuhe.
» Halte sie gut fest, wenn du sie verlierst, siehst du sie nie wieder!«
» Was… was soll das werden?«
Er gab ihr keine Antwort, packte sie nur erneut bei der Hand und riss sie mit sich fort. Die flachen Wellen spritzten auf, durchnässten den Saum ihres Kleides. » George!«, rief sie verzweifelt. » Lass mich… mein Kleid…«
Er kümmerte sich nicht um ihren Protest. Mit weiten Sprüngen lief sie mit ihm durch die kühle, schaumige Brandung, spürte, wie der Sand unter ihren Füßen wich, das salzige Wasser um sie herum aufwirbelte, und plötzlich empfand sie Vergnügen dabei. Der nasse Kleidersaum wickelte sich um ihre Beine, der Hut glitt ihr vom Kopf, der aufgesteckte Zopf löste sich, doch das alles war ihr gleich. Sie war frei wie ein Vogel, so frei, wie sie als Kind gewesen war; sie spürte ihren Körper, das kühle Nass der Wellen, die kleinen Steinchen und Muscheln im Sand, die warme Meeresbrise, die ihre heißen Wangen umstrich. Als er endlich innehielt und sich zu ihr umwandte, keuchte sie vor Anstrengung.
» So gefällst du mir viel besser, Charlotte Dirksen!«, sagte er und betrachtete sie mit leuchtenden, grauen Augen.
» Mein Kleid ist nass!«, beschwerte sie sich.
» Das trocknet wieder!«
Sie bückte sich blitzschnell und spritzte einen Schwall Wasser über ihn. Überrascht sprang er zurück, sah dann scheinbar empört an sich herunter und drohte, es ihr gleichzutun. Wo waren die Jahre geblieben? Sie war wieder ein Kind, lief jauchzend und kichernd vor ihm davon, raffte mit einer Hand den nassen Rock, um schneller voranzukommen, und wusste doch, dass er sie mit Leichtigkeit einholen würde. Ihr langer Zopf wehte hinter ihr her, die Flechten lösten sich.
» Warte nur, ich erwische dich schon!«, hörte sie ihn rufen, und in diesem Augenblick wünschte sie sich nichts mehr, als von ihm gefasst zu werden, seine Arme zu spüren, seinen heftigen Atem an ihrer Schulter zu hören.
Doch das geschah nicht. Er lief nur eine Weile hinter ihr her, jagte sie durch die seichte Brandung, dann blieb er zurück, beobachtete sie und wartete, bis auch sie stehen blieb. Erst dann setzte er sich wieder in Bewegung und ging langsam auf sie zu.
Das Blut rauschte noch in ihren Ohren, kleine Wellen umspielten ihre Waden. Jetzt, da die kindliche Begeisterung sich legte, kam sie sich lächerlich vor mit den großen Wasserflecken im Kleid und dem aufgelösten Haar, die Schuhe in der Hand …
Auch er war nicht ohne Spuren davongekommen, die Hose klebte an seinen Beinen, die Jacke trug blassgraue Flecken, und sogar an seinen Augenbrauen hingen ein paar Tröpfchen. Beklommen sah sie, dass der Übermut aus seinem Gesicht gewichen war. Er hatte die Stirn gefurcht, und seine Augen waren
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