Himmel über dem Kilimandscharo
Korsett tragen, das ihr den Atem abschnürte und sie schwindeln ließ? Links tat sich eine Gasse auf, eng und wenig vertrauenerweckend, doch das war jetzt gleich, gewiss würde sie zum Hafen führen.
Es war dämmrig zwischen den gedrängt stehenden Baracken, der Geruch von Schnaps und Erbrochenem schlug ihr entgegen, und gleich darauf erkannte sie, dass es hier nicht weiterging. Ein halb nackter, braunhäutiger Mann torkelte auf sie zu, starrte sie mit weiten, hell glänzenden Augen an und murmelte etwas, das sie nicht verstand. Erschrocken wandte sie sich um, stolperte über die Beine eines Menschen, der dicht an einer Hauswand am Boden gesessen hatte, und wäre fast gestürzt. Ein Gesicht blickte sie an, das so grauenhaft war, wie sie es in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte; Nase und Lippen des Unglücklichen waren von einer Krankheit zerfressen. Gelächter und laute Rufe erhoben sich in ihrer Nähe, die Gasse, die eben noch menschenleer gewesen war, belebte sich plötzlich, als lösten sich die Gestalten aus den dunklen Bretterwänden der armseligen Hütten.
Voller Panik wandte sie sich um, auf der Suche nach dem Weg, den sie gekommen war, und prallte gegen einen Körper.
» Ruhig«, hörte sie eine Stimme dicht an ihrem Ohr. » Hör auf zu schreien. So sei doch still!«
Sie wehrte sich verzweifelt, zappelte, wand sich, versuchte sogar, mit den nackten Füßen zu treten, doch George hielt sie unerbittlich fest.
» Bitte, Charlotte!«, flüsterte er. » Ich kann dich nicht schützen, wenn du ein solches Aufsehen machst.«
Er zog sie ein Stück mit sich fort, drängte sie sacht mit dem Rücken gegen eine Hauswand und lehnte sich gegen sie. Namenlose Erschöpfung überkam sie, es gab keine Möglichkeit, ihm zu entkommen, er war stärker als sie und fest entschlossen, sie nicht mehr davonlaufen zu lassen. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, spürte seinen angespannten Körper, der sich dicht an sie presste und der so völlig anders war als Christians schwerer, weicher Leib.
» Ich wollte das nicht sagen, Charlotte«, flüsterte er. » Ich weiß selbst nicht, was mich überkommen hat…«
Sein heißer Atem berührte ihre Schläfe, und die Sehnsucht, die sie so lange verleugnet hatte, stieg mit ungeahnter Macht in ihr auf. Nie zuvor hatte sie einen Mann begehrt, nie hatte sie Leidenschaft erlebt, außer in ihrer Musik und in ihren Träumen. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu und blickte in seine zusammengekniffenen, glänzenden Augen.
Er küsste sie. Zuerst verhalten, als könne er selbst nicht glauben, was er da tat, dann immer heftiger, berauschte sich an ihr, ließ sie seine Zunge spüren, grub die Finger in ihr Haar und flüsterte immer wieder ihren Namen. Ohne zu wissen, was sie da tat, erwiderte sie seine Liebkosungen mit verzweifelter Hast, und erst als sie langsam wieder zur Besinnung kam, begann sie, sich zu wehren.
» Das werden wir niemals wieder tun«, flüsterte sie.
Schweigend umfasste er sie mit beiden Armen, hielt sie an sich gepresst und ließ die Stirn auf ihre Schulter sinken.
» Niemals«, murmelte er. » Ich verspreche es dir.«
Im Morgennebel erschien die afrikanische Küste unwirklich wie eine Traumlandschaft. Die Abbruchlinie des Strands sah aus wie ein dunkler, immer wieder unterbrochener Strich auf gelbem Grund, die Pflanzen wuchsen in graugrünem Pastell, die gezackten Formen der Palmen ragten sattgrün daraus hervor, von aufsteigenden Nebelfetzen umweht. Schleierwolken überspannten den Himmel, jetzt weißlich wie der Dunst des Festlands, vor einer Stunde noch hatte der Sonnenaufgang Meer und Wolken in ein dunkel glühendes Rot getaucht.
Charlotte lehnte an der Reling des vollbesetzten Küstendampfers, froh, einen Platz gefunden zu haben, wo man sie in Ruhe ließ. Hinter ihr auf dem Deck hockten die Passagiere eng gedrängt zwischen Warenballen, Kisten und Körben unterschiedlichen Inhalts, durch das Tuckern der Maschine hindurch waren arabische Worte zu vernehmen, Suaheli, auch indische, englische oder deutsche Ausdrücke. Einige der Männer hatten getrocknete Flaschenkürbisse vor sich stehen, die sie als Wasserpfeifen gebrauchten; wenn der Wind sich drehte, wurde der Rauch über das Deck geblasen, und man erkannte den süßlichen Geruch des Haschischs.
Charlotte hätte am liebsten eine Mauer um sich gezogen, um sich von all den Passagieren, den Geräuschen und Gerüchen abzuschotten. Wieso war ihr auf der Hinfahrt nicht aufgefallen, wie schmutzig dieses
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