Himmel über dem Kilimandscharo
wir sind viele, wir sind mutig. Bald spürte sie die gleiche Begeisterung, folgte dem schmalen Pfad durch Palmen und dichtes Gebüsch hindurch und fand, dass der Maler Dobner, der vorausging, ruhig ein flotteres Tempo hätte anschlagen können. Noch war der Morgen frisch und kühl, Gräser und Blattwerk trugen glitzernde Tautropfen, schillernde Insekten saßen darauf, um ihren Morgentrunk zu nehmen. Weiße und blaue Blüten öffneten sich im Gras, wendeten sich der Sonne zu, die gleißend zwischen dem Blätterdach hindurchblitzte. Hier und da erkannte man ein graubraunes Äffchen im Gezweig einer Akazie, das die lärmenden Menschen mit neugierigen Augen aus sicherer Höhe betrachtete. Der Pfad wand sich entlang des breiten Pangani-Flusses, jedoch in respektvollem Abstand von den Krokodilen und Flusspferden, die das Ufer für sich beanspruchten. An einigen Stellen öffnete sich das Dickicht für kurze Zeit und gab den Blick auf das leuchtend blaue Wasser frei. Mangroven bedeckten einen Teil der Uferzone, hängten ihre dürren, verschlungenen Wurzeln ins Wasser, dazwischen stelzten weiße Vögel mit grauen Füßen und Schnäbeln, gemächlich und steif wie ältliche Jungfern. Ein Schwarm schwarzweißer Pelikane überflog den Fluss in westlicher Richtung, sie strebten den Seen und Feuchtgebieten zu, die nach der Regenzeit gut gefüllt waren.
» Sehen Sie die vielen Schmetterlinge!«, rief Dr. Meyerwald enthusiastisch. » Es gibt hunderte von Arten hierzulande, und die meisten sind noch nicht wissenschaftlich erfasst. Da drüben, das ist Amphicallia thelwalli, gelbschwarz mit stolzen sieben Zentimetern Flügelweite. Und dort auf den weißen Winden, sehen Sie doch nur! Schillernd blau mit rubinroten Flecken, Arniocera zambesia, klein, aber von großer Farbpracht. Und dort, der zarte grüngelbe Flattermann, das ist Taeda prasina …«
Tatsächlich gab es eine Unzahl wunderschöner bunter Schmetterlinge, doch Charlotte fand es sehr unangenehm, dass der eifrige Biologe den einen oder anderen davon mit bloßen Händen im Vorübergehen griff, ihm mit zwei Fingern die Flügel zusammenklemmte und das Objekt der Wissenschaft vorsichtig in eines der mitgeführten Pergamenttütchen steckte. Dabei schwärmte er davon, bereits dreizehn neue Arten dokumentiert zu haben, denen er besonders schöne Namen wie Bananenfalter, Mondsichelfalter oder auch Nachtblau gegeben habe. Charlotte beschloss, seine ständigen Vorträge einfach kommentarlos an sich vorübergleiten zu lassen; da er hinter ihr lief, konnte er ihr Gesicht sowieso nicht sehen. Als sich der Maler Anton Dobner nach einer Weile kurz zu ihr umwandte, schien er belustigt– vermutlich war er froh, heute einmal nicht das Opfer seines redseligen Freundes zu sein.
Immer wieder stießen die vorausgehenden Krieger laute Rufe aus, die dann von Mund zu Mund nach hinten weiterwanderten. Charlotte konnte die Worte zwar nicht verstehen, doch sie reimte sich zusammen, was sie bedeuteten. Man warnte die Träger vor hochstehenden Baumwurzeln, herabhängenden Ästen, Vertiefungen oder einem Bach, der den Weg kreuzte. Auch in umgekehrter Richtung wurden Nachrichten weitergegeben. Ab und an mussten sie stehen bleiben, weil irgendwo jemand seine Last verloren hatte, ein schlecht verschnürtes Paket sich auflöste oder einer der Träger gestürzt war und seine Verletzungen versorgt werden mussten. Sie waren jetzt schon mehr als drei Stunden unterwegs, und Charlotte, die langsam müde Füße bekam, fragte sich, wie ein Mensch stundenlang barfuß mit einer solch schweren Last durch den Wald laufen konnte. Weshalb stürzten sich diese Männer so begeistert in dieses Abenteuer, das sie doch so viel Kraft kostete und möglicherweise schlimm endete? Der Lohn, den sie dafür bekamen, war gering und wurde ihnen auch nur zum kleinen Teil in barer Münze ausgezahlt, Kamal Singh gab ihnen vor allem rotes Tuch, Schwarzpulver, schlechte Gewehre und billigen Schnaps.
An einer lichten Stelle unweit des Flusses wurde eine Rast eingelegt. Mit Trommeln, Stampfen und Geschrei vertrieb man mögliche Anwohner wie Schlangen oder ein verirrtes Krokodil, dann ließen sich die wanjampara auf dem Boden nieder, und die lange Reihe der Träger, zwischen denen immer einige bewaffnete Krieger gingen, füllte nach und nach die Lagerstelle. Erstaunt stellte Charlotte fest, dass die Frauen und Kinder kaum erschöpft aussahen, dabei wirkten die Knaben und Mädchen nicht älter als sechs bis acht Jahre. Einige der Träger waren
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