Himmel über dem Kilimandscharo
durchzogen– allein für diesen Kopfschmuck mussten sie Stunden gebraucht haben. Vor allem aber war es ihre Körperhaltung, die sie von anderen Schwarzen unterschied. Sie war aufrecht und hatte etwas Hochmütiges. Ja, Charlotte konnte sich gut vorstellen, dass man einen Massai niemals in Gefangenschaft halten konnte. Er lebte nach seinen eigenen Gesetzen, oder er starb. Zähmen konnte man ein so stolzes Wesen nicht.
Ganz offensichtlich sahen diese Massai-Krieger nicht zum ersten Mal eine Karawane, denn sie hielten zielstrebig auf die Araber zu, zwischen denen jetzt ein afrikanischer Dolmetscher saß. Sie wechselten nur wenige Worte und erhielten einen Beutel bunter Perlen als Gastgeschenk, den sich einer der Krieger nachlässig um den Hals band. Damit schien das Gespräch vorerst beendet, und die schönen Massai sahen sich mit großer Unbefangenheit im Lager um.
Jetzt begriff Charlotte den Missmut der afrikanischen Träger. Die Massai schienen Narrenfreiheit zu genießen, und sie benahmen sich frech und boshaft wie ungezogene Knaben. Hier hoben sie einen Topf auf und durchbohrten das Blech mit ihrem Speer, dort lösten sie die Verpackung eines Warenballens, um neugierig dessen Inhalt zu betrachten. Sie machten sich sogar den Spaß, ihre Speere in die glimmende Feuerstelle zu halten und dann die afrikanischen Träger damit zu traktieren– wer sich nicht rasch in Sicherheit brachte, trug eine Brandwunde davon. Die Herren der Steppe hielten sich jedoch nur kurz mit solchen Scherzen auf, gab es in diesem Karawanenlager doch etwas viel Aufregenderes auszukundschaften.
Dobner wurde der Bleistift aus der Hand gerissen, noch bevor er ihn in seiner Jackentasche verschwinden lassen konnte. Dr. Meyerwald kämpfte erbittert um sein Buch, büßte dabei jedoch zwei blinkende Knöpfe seiner Jacke ein– dann umringten die Massai Charlotte.
Sie zögerten. Besahen sie mit schmalen, dunklen Augen, in denen Neugier und Begehrlichkeit blitzte. Einer legte vorsichtig den Finger auf ihren Ärmel, ein anderer zupfte schon an dem Tuch, das sie um ihr Haar gebunden hatte.
» Nur langsam«, sagte Dr. Meyerwald zu Christian, der glaubte, einschreiten zu müssen. » Wir dürfen sie nicht verärgern. Schon wegen des Elfenbeins. Aber auch aus anderen Gründen.«
Die Massai wurden mutiger, traten noch dichter an Charlotte heran, redeten untereinander, lachten, staunten. Hatten sie noch nie eine weiße Frau gesehen? Charlotte wurde es unheimlich. Sie konnte den seltsam strengen Geruch wahrnehmen, der von ihrem eingefetteten Haar, von ihrer glänzenden Haut ausging. An ihren scheinbar so schlanken Armen traten Sehnen und Muskeln hervor, wenn sie den Speer anhoben. Eine Hand berührte ihre Wange, fuhr die Schläfe hinauf, schob sich unter das Tuch, um ihr Haar zu befühlen.
» Nein!«, sagte sie zornig und wich zurück.
Der Massai blieb unbewegt stehen, die Hand noch erhoben. Im gleichen Augenblick zog Christian Charlotte rasch zu sich heran und legte besitzergreifend den Arm um ihre Schultern. Einen kurzen Moment lang starrte der junge Massai-Krieger auf den weißen Mann, in seinem Gesicht zuckte es– war es Spott oder Zorn? Dann trat er einen Schritt zurück, und auch die anderen ließen von Charlotte ab. So fremd sich die Kulturen waren– Christian war ganz offensichtlich ihr Mann, ihr Besitzer, sein Anspruch wurde respektiert.
Die fünf Massai amüsierten sich noch ein wenig, indem sie einem schwarzen Krieger das Tuch stahlen und über die Dornbüsche warfen, dann zogen sie davon. Dumpfe Flüche der afrikanischen Träger folgten ihnen.
» Das waren moran«, ließ sich Meyerwald vernehmen, der jetzt das mühsam verteidigte Buch seinem boy reichte, damit er es in einer verschließbaren Kiste unterbrachte. » Moran, das sind junge Krieger, die noch nicht verheiratet sind. Sie verbringen ihre Zeit mit Waffenübungen, ziehen herum, richten Unheil an und brennen darauf, sich in den Kampf zu stürzen.«
» Es sind Rüpel, die man übers Knie legen sollte«, schalt Dobner. » Was für ein eitles, boshaftes Gesindel.«
» Nur bis zum Tag der Heirat«, versicherte Dr. Meyerwald grinsend. » Wenn sie einmal Weiber und Kinder haben, ist es aus mit der goldenen Freiheit, dann benehmen sie sich anständig.«
» Das soll in unseren Breiten ähnlich sein«, witzelte Dobner.
» Freilich«, gab Dr. Meyerwald unverdrossen zurück. » Weshalb sonst wäre ich immer noch Junggeselle? Im Übrigen waren diese fünf nur die Späher, den Hauptansturm
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