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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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immer noch das schmale Band aus grünem Filz, das Mama mit farbiger Seide bestickt hatte. Charlotte warf es achtlos aufs Sofa, zog sich den Schemel zurecht und setzte sich in Positur. Musik war etwas Wundervolles, sie hatte Mamas Spiel auf dem Klavier geliebt und sehr bewundert, manchmal hatte sie ihr sogar die Seiten der Noten umblättern dürfen, was ihr stets im richtigen Moment gelungen war. Aber selbst zu spielen war mühselig und schrecklich öde, und so oft sie Mama zuliebe auch geübt hatte– es wurde niemals wirkliche Musik daraus.
    Zaghaft berührte sie eine Taste und verzog das Gesicht. Der Ton klang ganz anders und schrecklich fremd. Sie probierte eine C-Dur-Tonleiter, dann einige Akkorde und schüttelte sich. Die Tasten gehorchten nicht mehr, es erklangen andere Töne, wenn man sie herunterdrückte. Nichts war mehr so wie im Haus ihrer Eltern– sogar das Klavier hatte sich hier in der Stube verändert, es war ihm ergangen wie den Kleidern ihrer Mutter, die jetzt von Tante Fanny und Ettje getragen wurden und keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Mamas zierlichen Gewändern hatten.
    » Großmutter, das Klavier muss kaputt sein. Die Töne klingen anders als früher.«
    » Das kommt dir nur so vor.«
    » Nein, es muss repariert werden.«
    » Das fehlte noch. Wo sowieso keiner diesen Kasten braucht.«
    Beharrlich setzte sich Charlotte jeden Nachmittag an das verwandelte Klavier und versuchte wenigstens ihre Finger dazu zu bringen, ihr besser zu gehorchen. Die Klänge taten ihr so weh, dass ihr manchmal die Tränen über die Wangen rollten, doch sie gab nicht auf. Nicht um alles in der Welt wollte sie vor dem Großvater als leichtfertige Schwätzerin dastehen, eine, die erst große Töne spuckte und hinterher nichts zustande brachte.
    » Was für eine Katzenmusik«, stöhnte Ettje. » Wie lange sollen wir das noch aushalten?«
    Es ging Ettje gar nicht um die falschen Töne, sondern darum, dass Charlotte Klavier übte und in dieser Zeit keine Aufgaben im Haus übernehmen musste. Vorhänge waschen, Betttücher plätten, vor der Haustüre fegen– das alles blieb für Ettje. Dabei musste sie sowieso mehr arbeiten als die anderen, denn seit diesem Frühling war sie mit der Schule fertig, und die Großmutter legte Wert darauf, dass aus ihr eine gute Hausfrau wurde.
    » Ich weiß nicht, wozu das Geklimper gut sein soll«, meinte die Großmutter unmutig, als sie miteinander beim Abendbrot saßen. » Das kommt alles nur daher, weil du unbedingt das Klavier in unsere Stube stellen wolltest, Henrich.«
    Der Großvater kaute schweigend an seinem Schmalzbrot, was ihm große Mühe bereitete, denn er hatte nicht mehr alle Zähne. Aus diesem Grund musste er auch vorher die Rinde vom Brot abschneiden, die bekam Paul, der sie gern in die Milch tunkte.
    » Wahrscheinlich möchte sie eine feine Dame werden, die in den Salons verkehrt und auf Bällen tanzt«, bemerkte Tante Fanny.
    » Tanzen kann man gar nicht, wenn Charlotte spielt«, meinte Paul. » Eher muss man davonlaufen.«
    Klara sprach selten bei Tisch, dieses Mal aber war sie so empört, dass sie einen Satz wagte.
    » Klavierspielen ist sehr schwer, und ich finde, dass Charlotte es schon ziemlich gut kann!«
    Sie wurde rot, weil jetzt alle den Blick auf sie richteten. Aber sie senkte den Kopf nicht, wie sie es sonst tat, wenn jemand sie tadelnd ansah; sie hielt den Augen der Familie stand.
    » Gut genug, um die Ratten und Mäuse aus dem Haus zu jagen!«, höhnte Paul.
    » Still jetzt«, fuhr die Großmutter dazwischen. » Kehre besser vor deiner eigenen Tür, Paul!«
    Paul hatte Spaß daran, auf Charlotte herumzuhacken, da er selbst eine harte Zeit durchlebte. Der Unterricht auf dem Gymnasium ging bis in den Nachmittag hinein, und dann waren noch Hausaufgaben zu erledigen, die er jeden Abend dem gestrengen Blick des Großvaters unterbreiten musste. Seine Zensuren waren bisher jämmerlich, was bedeutete, dass er auch den Sonntagnachmittag über lernen musste. Und das gerade jetzt, wo draußen überall die Wiesen grünten und die ehemaligen Kameraden auf dem Plytenberg oder in Leerort herumstromerten, Kaulquappen fingen und nach Kiebitzeiern suchten.
    Der Großvater kaute langsam zu Ende und nahm dann einen großen Schluck aus der Teetasse, dabei sah er Charlotte nachdenklich an. Sie hatte die Arme aufgestützt und den Kopf hineingelegt, was eigentlich bei Tisch nicht gestattet war, doch die Großmutter hatte für dieses Mal darüber hinweggesehen. Vor allem deshalb, weil

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