Himmel über dem Kilimandscharo
beiden nicht aneinandergerieten. Wenn die Großmutter nicht hinsah, verpasste Ettje der lästigen Cousine so manchen Stoß– noch war sie ihr an körperlicher Kraft überlegen. Charlotte war dafür umso gewandter und wusste die Großmutter auf ihre Art für sich einzunehmen.
Beim Abtrocknen schichtete sie das Geschirr aufeinander und trug nicht jedes Stück einzeln in den Schrank, wie Ettje es tat, sie fegte zuerst die Ecken aus und kehrte anschließend alles in der Mitte zusammen, das ging rascher. Wenn sie Socken waschen musste, seifte sie zuerst alle ein, um sie dann miteinander in der Schüssel auszuwaschen.
» Du wirst dir noch das Gehirn verrenken vor lauter Faulheit!«, spottete Ettje.
» Ich bin fertig mit meinem Anteil, und du hast noch drei Socken zu waschen!«, hielt Charlotte dagegen.
Ende März begann Tante Fanny öfter als gewöhnlich zu seufzen, was niemand weiter zur Kenntnis nahm. Seltsam war jedoch, dass sie nun mit der Großmutter in der Küche lange Streitgespräche führte, ja, sie wagte sogar, ihr zu widersprechen, und wenn ihr gar nichts mehr einfiel, brach sie in Tränen aus.
» Soll er so enden wie mein armer Peter? Totgearbeitet hat er sich für einen Hungerlohn, der uns kaum zum Leben gereicht hat. Nie werde ich vergessen, wie ich ihn sterbend in meinen Armen hielt und er mich anflehte, für unsere Kinder zu sorgen…«
» Hör auf zu nölen– es geht nun einmal nicht.«
» Es könnte schon gehen, wenn man nur wollte…«
Charlotte hatte rasch bemerkt, dass es klug war, nicht in die Küche zu gehen, solange die beiden miteinander stritten. Es führte nur dazu, dass man mit einem unangenehmen Auftrag fortgeschickt wurde, denn die Kinder sollten den zähen Kampf der beiden Frauen nicht mitbekommen.
Paul war am meisten verunsichert, zumal ihn seine Mutter jetzt ohrfeigte, wenn er schlechte Schulnoten nach Hause brachte. Gleichzeitig aber sorgte sie sich mehr denn je um ihn, schob ihm beim Mittagessen unauffällig die besten Bissen zu und drückte ihn immer wieder liebevoll ans Herz. Besonders das war ihm peinlich, denn er war schon zehn und mochte nicht mehr wie ein Kleinkind gehätschelt werden.
Anfang April, die Osterfeiertage waren nicht mehr weit, hatte der Streit der beiden Frauen plötzlich ein Ende. Dafür wusste Paul zu erzählen, dass die Großeltern am Abend in ihrer Schlafkammer lange miteinander redeten. Er musste es wissen, schließlich schlief er im Arbeitszimmer des Großvaters auf dem Sofa, und die Kammer der Großeltern war gleich nebenan, nur durch eine dünne Holzwand von seinem Sofa getrennt.
» Die Großmutter will, dass ich aufs Gymnasium gehe«, erzählte er düster. » Das hat Mama ihr eingeredet.«
» Das ist doch großartig!«
» Gar nicht. Die von Ubbo Emmus sind hochnäsig und verdreschen uns immer. Ich verliere alle meine Freunde, wenn ich dahin muss.«
» Na und?«
Charlotte verstand ihn nicht. Auf dem Gymnasium lernte man Latein und konnte später Arzt oder sogar Schiffskapitän werden. Insgeheim hätte sie auch gern ein Gymnasium besucht, aber das war ganz und gar unmöglich, dort wurden nur Jungen aufgenommen.
» Und überhaupt ist Paul viel zu dumm für die Lateinschule«, versetzte Ettje und zog die Oberlippe abschätzig in die Höhe. » Da wäre das viele Geld nur zum Fenster hinausgeworfen.«
Drei Tage nach Ostern, als die Schule noch nicht wieder begonnen hatte, rief der Großvater Charlotte nach dem Frühstück in sein Arbeitszimmer.
» Komm herein, und setz dich dort auf das Sofa.«
Das Sofa war diesmal aufgeräumt, Pauls Bettzeug ordentlich zusammengerollt und unter einer Decke verborgen, die beiden runden Häkelkissen standen prall aufgeschüttelt jedes in seiner Ecke. Charlotte setzte sich dazwischen und wartete. Sie spürte, dass etwas sehr Ernstes sein musste, denn der Großvater starrte mit verkniffenem Gesicht vor sich auf den Schreibtisch, auf dem ein beschriebenes Papier lag.
» Ich bin nicht glücklich über diese Entscheidung«, begann er, ohne sie anzuschauen. » Dennoch habe ich sie nach reiflicher Überlegung getroffen, weil sie dem Wohl aller dient. Damit du, Charlotte, später zu deinem Recht kommst, habe ich dieses Schreiben aufgesetzt.«
Er las ihr die Worte vor, langsam und mit leiser Stimme, als müsse er selbst gründlich prüfen, ob nicht ein Fehler darin war. Zweimal hielt er inne, nahm die Feder aus dem Tintenfass und verbesserte etwas, dann las er weiter, sah dabei immer wieder zu ihr hinüber, um
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