Himmel über dem Kilimandscharo
festzustellen, ob sie auch genau zuhörte.
Charlotte begriff rasch, worum es ging. Das Gymnasium kostete Geld, auch die Bücher waren teuer, und Paul brauchte ordentliche Kleidung, keine geflickten Jacken und Hosen. Dieses Geld wollte der Großvater von ihr ausleihen, er nahm es von der Summe, die sie von ihren Eltern geerbt hatte und die für ihre Mitgift bestimmt war. Das tat er ungern, mit vielen Gewissensbissen und nur unter der Bedingung, dass Paul ihr später alles zurückzahlen würde.
» Es ist nicht anders möglich, Charlotte. Wir sparen schon jetzt, wo wir können, aber ich bin nicht bereit, eine Hypothek auf das Haus aufzunehmen, das einmal meine Kinder erben sollen. Dein Geld ist da, und du brauchst es im Moment noch nicht. Ich habe einen Teil davon in Papieren angelegt, dieser Teil wird nicht angetastet werden. Den Rest will ich für Pauls Ausbildung ausgeben, die irgendwann gewiss Früchte tragen wird…«
Pfarrer Dirksen hatte zwei Söhne studieren lassen, was schwer gewesen war; man hatte es sich vom Munde absparen müssen. Aber eine gute Ausbildung war wichtig für einen Mann, nur so konnte er eine Position erreichen und seine Familie ernähren. Die Mitgift für die beiden Töchter Dirksen war entsprechend knapp ausgefallen, Edine hatte einen Pfarrer geheiratet, so war sie gut versorgt, für Fanny hatte sich nur ein Buchbinder gefunden.
Das Schreiben sollte von Tante Fanny, der Großmutter und auch dem Großvater unterzeichnet werden, als Zeuge würde auch der Superintendent Doden seine Unterschrift darunter setzen. Der Großvater wollte es dann aufbewahren und Charlotte aushändigen, wenn sie volljährig war. In zehn Jahren also.
» Ich möchte, dass du eines weißt, Charlotte: Ich bin um dein Wohl besorgt und werde niemals zulassen, dass dir Unrecht geschieht…«
Sie hörte ihm ruhig zu, denn sie hatte längst verstanden, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Aber das war ganz unnötig, das Geld war ihr gleich. Sollte Paul es doch bekommen, dann würde Ettje ihr nicht ständig vorwerfen können, sie sei reich.
» Geh jetzt hinunter, Charlotte, und bewahre Stillschweigen über diese Angelegenheit. Vor allem dies musst du mir versprechen.«
Sie stand auf und nickte mit ernster Miene, doch sie machte keine Anstalten, aus dem Zimmer zu gehen.
» Ich möchte Klavierstunden nehmen, Großvater!«
Er hatte sich schon wieder über das Schreiben gebeugt, jetzt hob er verblüfft den Kopf. Er hatte befürchtet, Charlotte könne widersprechen oder weinen– sie hätte wohl Grund dazu gehabt. Stattdessen aber stellte sie eine Forderung.
» Klavierstunden? Aber… aber du hast das Klavier ja nicht einmal angerührt, seitdem es im Haus ist.«
» Ich will jetzt aber fleißig üben. Papa hat immer gewollt, dass ich Klavierspielen lerne, und Mama hat mir Unterricht gegeben.«
Klavierunterricht kostete Geld, das wusste sie recht gut. Aber wenn sie schon nicht aufs Gymnasium gehen konnte, dann wollte sie wenigstens das.
» Wir werden sehen«, murmelte Pastor Dirksen. » Du kannst ja vorerst ein wenig für dich üben. Irgendwo in einer Kiste müssen noch die Noten deiner Mutter sein, ich werde einmal nachsehen…«
Paul wartete schon hinter der Tür des Arbeitszimmers, auch er war zum Großvater hinaufgeschickt worden. Es war klar, dass er dort die frohe Botschaft seines baldigen Gymnasiumbesuchs erfahren und dazu noch jede Menge Ermahnungen und Anweisungen zu hören bekommen würde. Als er nach einer ganzen Weile wieder unten in der Küche auftauchte, strahlte Tante Fanny vor Glück, Paul aber machte ein Gesicht, als habe man ihn zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt.
Der Großvater hielt sein Wort. Schon am folgenden Morgen fand Charlotte einen Stapel Noten auf dem Klavier, einige waren staubig und hatten sogar Eselsohren, aber das störte sie nicht. Sie kannte alle diese Hefte. Sie hatten in einem Schrank gelegen, und Mama hatte oft davorgestanden, sie mit den Fingern durchgeblättert und dann dieses oder jenes Notenbuch genommen, um daraus zu spielen. Auch Charlotte hatte zwei Notenhefte besessen, darin standen langweilige Stücke für Anfänger und stumpfsinnige Fingerübungen, die man kaum Musik nennen konnte. Eigentlich war sie recht froh, dass diese Noten im Stapel nicht zu finden waren.
Sie musste eine Lampe und zwei Nippesfigürchen wegräumen, die ihre Großmutter oder Tante Fanny auf den Deckel der Tastatur gestellt hatte, dann konnte sie das Klavier öffnen. Über den Tasten lag
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