Himmel über dem Kilimandscharo
Dennoch denke ich, dass dieses Festhalten am alten, afrikanischen Glauben für die Schwarzen immer noch besser ist als jener Zustand, in den schon viele von ihnen geraten sind: dass sie nämlich an gar nichts mehr glauben und weder Gesetz noch Regel kennen. Ich mache mir oft Gedanken um meinen armen Schammi, der nach Max’ Tod vollkommen durcheinander war und davonlief. Ich habe bis heute nichts von ihm gehört und kann nur hoffen, dass es ihm gut geht. Er ist ja ein kluger Bursche und wird sich schon durchwinden.
Der Brief ist lang geworden, liebe Klara. Elisabeth schläft schon eine ganze Weile, ich soll dir aber ausrichten, dass sie sich über deine Bilder sehr gefreut hat. Sie hat so lange gequengelt, bis ich sie alle an der Wand des Schlafzimmers aufgehängt habe, damit sie sie beim Einschlafen betrachten kann. Ich lege zwei kleine Zeichnungen bei, die sie für » Tante Klara« angefertigt hat. Ich habe den Eindruck, sie schlägt in deine Richtung: Sie malt mit Begeisterung, so dass ich gar nicht genug Papier auftreiben kann. Vom Klavierspiel will sie jedoch nichts wissen.
Seid herzlich von mir umarmt, du und das Ungeborene und auch Peter, der nun bald ein glücklicher Vater sein wird.
Bis wir uns wiedersehen
deine Cousine Charlotte
Sie las den Brief noch einmal durch und war sehr unzufrieden. Weshalb schon wieder dieser melancholische Tonfall? Hatte sie nicht vorgehabt, Klara aufzuheitern, ihr Mut zu machen? Es musste an der späten Stunde liegen, an der Stille in dem sonst so lärmenden Haus, vielleicht auch an dem herabrauschenden Regen. Zu dieser Zeit überkam sie oft ein Gefühl der Einsamkeit, das sie tagsüber niemals empfand.
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie das Blatt zerreißen und neu schreiben sollte, aber es war schon spät, und morgen würde der Briefträger kommen, dem sie die Post mitgeben wollte. Besser war wohl, erst einmal schlafen zu gehen und morgen früh, wenn sie in besserer Stimmung war, noch rasch ein paar fröhliche Sätze anzuhängen.
Der Regenguss war vorüber. Tröpfelnd und rieselnd rann das Wasser vom Dach herab und sammelte sich vor dem Haus in zwei Rinnen, die Max damals hatte graben lassen, um es durch die Wiese hinunter zum Teich zu leiten. Als sie die Vorhänge schließen wollte, entdeckte sie, dass in einem Fenster des Verwalterhäuschens noch Licht brannte, was ihr ein wenig über die Melancholie hinweghalf. Sie war nicht ganz allein, es gab auch andere, die zu dieser Stunde noch wach waren. Überhaupt war es albern, sich immer wieder solchen Stimmungen hinzugeben, sie hatte weiß Gott genug Gründe, zufrieden und dankbar zu sein. Zum Beispiel für die beiden jungen Deutschen drüben im Verwalterhäuschen, die seit vier Jahren auf der Plantage arbeiteten und sich als fleißige und verlässliche Menschen erwiesen hatten. Ihre Ankunft musste eine Fügung des Schicksals gewesen sein, hatte sie in dem schrecklichen Jahr, das auf Max’ Tod folgte, doch kurz davor gestanden, alles hinzuwerfen. Der Sisal war voller gelber Flecke, die die Qualität minderten, ein Schädling ließ die Kaffeebeeren braun werden, so dass sie abgepflückt und verbrannt werden mussten. Das Schlimmste aber war, dass die schwarzen Arbeiter ihre Anweisungen nur zögernd und unwillig ausführten, sie waren Max’ energische Art gewöhnt und wollten nicht glauben, dass eine bibi die Plantage führen könnte.
Lächelnd sah sie zu, wie drüben im Verwalterhaus die Tür geöffnet wurde. Die beiden Männer hatten einen Hund, den sie in der Nacht ins Haus holten. Jacob Götz und Wilhelm Guckes stammten aus der Gegend von Kassel und hatten in Usambara auf einer Kaffeeplantage gearbeitet, bevor sie zu ihr kamen. Dort hatte es angeblich Ärger mit dem Plantagenbesitzer, einem ehemaligen deutschen Offizier, gegeben, was Charlotte zuerst Anlass zu Misstrauen gab, das sich jedoch schon bald als unbegründet erwies. Jacob und Wilhelm akzeptierten sie von Anfang an als Herrin der Plantage, fügten sich ihren Anweisungen, und mit den schwarzen Arbeitern kamen sie gut zurecht. Die beiden waren unzertrennliche Freunde seit ihrer Kindheit, und wie es schien, dachte keiner von ihnen an eine Heirat, sie hatten an sich selbst genug. Das Verwalterhaus hatten sie mit viel Liebe ausgestattet, eigene Möbel gebaut und sogar Kissen genäht, auch schliefen sie ganz offensichtlich miteinander im selben Bett. Ganz so, wie sie es damals mit Klara gehalten hatte.
Klara! Sie zog rasch die Vorhänge zu und blickte wieder
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