Himmel über dem Kilimandscharo
musste die Mama ein Stück auf dem Klavier vorspielen, das die Kleine schweigend und mit großem Interesse anhörte. In ihr Bettchen wollte sie nicht, was Hamuna sehr wohl verstehen konnte, also durfte sie auf einer weichen Decke vor dem Kamin herumkrabbeln und schlief dort nach einer Weile ein.
Charlotte war ruhelos, saß in ihrem Zimmer am Schreibtisch und plante die kommenden Tage, an denen sie allerlei Arbeiten erledigen würde, die Max normalerweise störten. Die hölzernen Dielen mit rauen Steinen blank scheuern, die Vorhänge waschen, seine Jagdtrophäen von der Wand nehmen und entstauben. Sie zog ein Büchlein aus der Schublade hervor, in das sie seit Elisabeths Geburt täglich allerlei Begebenheiten eintrug und dem sie auch Zeichnungen von ihrer Tochter, eine Haarlocke und ein paar gepresste Blüten beigefügt hatte. Max wusste nichts davon, sie würde die Zeit nutzen, um die Buchdeckel hübsch mit buntem Stoff einzubinden, denn sie wollte ihm das Büchlein im November zum Geburtstag schenken. Die heutige Eintragung geriet nicht nach ihrem Gefallen, und sie ärgerte sich, dass sich ihre schlechte Stimmung auf die Seiten übertrug, die doch ein heiterer Rückblick auf das erste Jahr ihres Kindes sein sollten.
Hamuna trug die schlafende Elisabeth ins Bettchen und ging dann hinüber in ihre Unterkunft; auch Charlotte beschloss, schlafen zu gehen. Sie verriegelte die Türen, zog die Vorhänge zu und machte sich nachtfertig, wohl ahnend, dass sie nur schwer Schlaf finden würde. Draußen war es mondhell, Zikaden sangen ihr schrilles, eintöniges Lied, unten am Teich quakten die Frösche. Eine Weile jagte sie einigen lästigen Insekten nach, erwischte jedoch nur einen unschuldigen Nachtfalter, dann gab sie es auf und nahm sich die Deutsch-Ostafrikanische Zeitung vor, die vor einigen Tagen mit der Post gekommen war. Doch die Buchstaben schwammen vor ihren Augen, so dass sie das Blatt schließlich fortlegte und die Lampe löschte.
Sie spürte ihr Herz klopfen, hörte die raschen unruhigen Schläge im Kopfkissen, ganz gleich, ob sie auf der Seite oder auf dem Rücken lag. Als ihr die Augen endlich zufielen, sah sie einen Zug dunkler Gestalten, Menschen, Tiere und auch andere Wesen, die weder das eine noch das andere waren, einige trugen gezackte Flügel, andere hatten zarte Beinchen wie große Spinnen, die sie ruckartig in genau festgelegter Reihenfolge bewegten, immer eins nach dem anderen.
Später sagte man ihr, es sei unmöglich gewesen, die Reiter waren noch viel zu weit entfernt. Doch Charlotte war sich sicher, vom Schnauben eines Pferdes aufgewacht zu sein. Sie wusste nicht, weshalb sie schweißgebadet aus den Kissen fuhr und die Vorhänge aufriss, es gab keinen Grund dafür außer dem wilden, verzweifelten Flattern ihres Herzens. Es war früher Morgen, die Nebel, die den Berg verbargen, glühten rosig, eine Schar grauer Vögel erhob sich aus den Eukalyptusbäumen, als habe sie dort etwas aufgeschreckt.
Auf bloßen Füßen eilte sie zur Eingangstür, schob mit zitternden Händen den Riegel zurück und öffnete die Tür. Der Duft der Akazien schlug ihr entgegen, schwer und betäubend wie süßer Honig, die Blüten leuchteten hellrot, als stünde die Allee in Flammen. Am Ende des Weges warteten zwei Männer, die eine Last zwischen sich trugen, neben ihnen das Ehepaar von Bleiwitz.
Wie in Trance stieg Charlotte die Stufen hinab, zunächst langsam, setzte tastend Fuß vor Fuß, glaubte noch, einen bösen Traum zu erleben. Dann begann sie zu rennen, barfuß, mit aufgelöstem Haar, im flatternden, weißen Nachthemd.
» Wir haben gehofft, dass er es noch schafft«, hörte sie Alexander von Bleiwitz stammeln. » Er wollte auf seiner Plantage sterben.«
Max’ Körper war unversehrt, nur sein Gesicht hatte einen harten Zug, den es im Leben niemals gehabt hatte.
» Eine schwarze Mamba. Lag im hohen Gras, er ist direkt auf sie getreten. Ich habe das Biest mit drei Schüssen erledigt, aber da war es schon zu spät…«
Sie hörte sich schreien, wild und fremd, es waren Töne, die noch nie zuvor aus ihrer Kehle gedrungen waren. Sie spürte das starre, schon erkaltete Gesicht ihres Mannes unter ihren tastenden Händen, küsste seine toten Lippen, fuhr mit den Fingern durch sein Haar. Als die Männer versuchten, sie von dem Toten zu trennen, schlug sie um sich wie eine Furie.
» Liebste, Sie dürfen sich nicht so gehen lassen«, sagte Frau von Bleiwitz. » Denken Sie doch an Ihr Kind.«
Teil V
April
Weitere Kostenlose Bücher