Himmel über dem Kilimandscharo
Licht.
Es gab schließlich viele Erfolge, das musste er sich immer wieder sagen. Knochenbrüche verheilten, Geschwüre wurden herausgeschnitten oder durch Salben zum Verschwinden gebracht, man führte Operationen durch, von denen die meisten gelangen, nur machten später eintretende Entzündungen oft den Erfolg zunichte. Die hygienischen Verhältnisse in der Klinik waren unaussprechlich. Bewundernswert waren nur die Geduld und Leidensfähigkeit der Afrikaner und ihr Vertrauen in den weißen bwana daktari, dem er leider nur allzu oft nicht gerecht werden konnte. Für die Unglücklichen, die mit Typhus, Cholera oder der Schlafkrankheit hierhergebracht wurden, gab es nur selten eine Rettung. Man sonderte sie ab und versorgte sie so gut es ging, doch wichtiger war es, sich um die Angehörigen zu kümmern, die oft den Erreger schon in sich trugen. Er hatte Impfungen gegen Typhus durchgeführt, doch nun war der Impfstoff ausgegangen, und er musste warten, bis eine neue Lieferung eintraf. Zornig dachte er an die Ärzte im Gouvernementskrankenhaus, die nicht bereit waren, ihnen auszuhelfen, sondern ihre Medikamente für die weißen Patienten aufsparten. Doktor George Johansson war dort ohnehin nicht gut angeschrieben: Man hatte seine Veröffentlichung über die medizinische Versorgung der Einheimischen in Afrika gelesen und hielt ihn für einen Unruhestifter und Nestbeschmutzer.
» Wie schade, dass Sie Ihr Talent so verschwenden, lieber Kollege«, hatte man zu ihm gesagt. » Ihr Buch über die Besteigung des Kilimandscharo ist großartig. Auch die Veröffentlichung über den Nil– wir haben sie begeistert verschlungen. Aber Sie leisten dem Deutschen Reich und dem Kolonialgedanken einen Bärendienst, wenn Sie weiterhin derart ungereimtes Zeug zu Papier bringen…«
Er hatte in Deutschland und auch in England durchaus Zuspruch für seine Kritik erhalten. Bis auf einige gut gemeinte Spenden, die er verschiedenen Krankenhäusern zugeführt hatte, war der praktische Erfolg jedoch gering gewesen. Die medizinische Versorgung der Eingeborenen interessierte die Kolonialherren nur, wenn größere Epidemien ausbrachen, dann sorgten sie sich um die Arbeitskräfte und ihre eigene Gesundheit. Vor allem hier in Deutsch-Ostafrika wehte inzwischen ein anderer Wind. Man war es leid, dass die Kolonien immer noch keinen Gewinn abwarfen, und hatte zu Methoden gegriffen, die in britischen und niederländischen Kolonien längst gang und gäbe waren. Zu hunderten schleppte man die Eingeborenen auf die Plantagen und zwang sie zur Fronarbeit, wer sich weigerte, wurde in Ketten gelegt, wer nicht gehorchte, bekam die kiboko zu spüren. Es war noch nicht lange her, da rühmte sich das Deutsche Reich, den Sklavenhandel der Araber in den Kolonien abgeschafft zu haben– nun versklavte es die Schwarzen selbst, um auf dem Weltmarkt Gewinne mit Baumwolle, Sisal und Kautschuk zu machen.
» Doktor muss essen!«
Shira hatte einen Teller mit Samosas und Curry aus der Küche geholt und schob die Papiere auf dem Tisch zusammen, um ihm die Mahlzeit vorzusetzen. Die junge, indische Krankenschwester hatte sich offensichtlich vorgenommen, für sein leibliches und seelisches Gleichgewicht zu sorgen, denn sie hielt sich fast immer in seiner Nähe auf, lächelte ihn an und nutzte jede Gelegenheit, ihm einen Becher Kaffee oder ein kleines Gebäckstück zu bringen. Er ließ sich die Fürsorge gern gefallen, lohnte es ihr, indem er ihr Lächeln erwiderte und sich auf kurze Gespräche einließ. Shira war zierlich von Gestalt und hatte eng stehende schwarze Augen, sie konnte geräuschlos durch die Gänge huschen, und wenn sie die Verbände von einer Wunde löste, bemühte sie sich, dem Kranken keine Schmerzen zu verursachen. Möglicherweise hatte sie sich in den englischen Doktor Johansson verliebt, wahrscheinlich sogar.
Er hatte gerade zwei Bissen gegessen, da stieg der Lärm im Flur heftig an, und er eilte aus dem Büro, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Eine afrikanische Krankenhelferin versuchte drei Frauen davon abzuhalten, in das Zimmer der Typhuspatienten einzudringen, doch die Mutter des erkrankten Jungen wollte sich nicht zurückweisen lassen. George musste vermitteln und erklären, versuchte, die Frauen zu beruhigen, machte Versprechungen, die wohl kaum einzuhalten waren, und musste am Ende doch energisch werden. Es fiel ihm schwer, diese Frauen fortzuschicken. Sie waren arm und hatten Lebensmittel für den Jungen gekauft, denn die Küche der Klinik
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