Himmel über dem Kilimandscharo
weißer Fasern. An einigen Stellen hatte man die Baumwolle auf großen Tüchern zum Trocknen ausgebreitet, viereckigen Schneefeldern gleich, in denen schwarze Frauen umherliefen, um die zarte wolkige Pracht zu wenden.
Charlotte verspürte eine seltsame Spannung, ein tiefes Unbehagen, dessen Grund sie erst begriff, als Juma ihn aussprach.
» Nichts reden, bibi Roden. Auch kein Gesang. Nicht wie bei uns, wenn Kaffee pflücken.«
» Du hast recht, Juma. Das ist seltsam.«
Verhielten sich die Baumwollpflücker so still, weil überall Aufseher mit Stöcken und Nilpferdpeitschen herumstanden? Sie waren ebenfalls Schwarze, aber ähnlich wie die Askari stammten sie vermutlich nicht aus der Gegend und wurden für ihre Arbeit gut bezahlt. Was hätte Max wohl dazu gesagt? Er war immer der festen Meinung gewesen, dass ein Pflanzer seine Angestellten zwar mit fester Hand regieren sollte, doch sie mit der Peitsche zur Arbeit zu zwingen, wäre für ihn ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Schließlich war man aufeinander angewiesen.
In den Nächten, die sie auf einem Lagerplatz unter freiem Himmel verbrachten, gewann sie den Eindruck, als sei das Schweigen auch auf ihre schwarzen Begleiter übergegangen. Sie hatten ein notdürftiges Zelt für die weiße bibi aus Stöcken und Tüchern errichtet, die drei Schwarzen schliefen auf ihren Bastmatten, doch die sonst üblichen, leisen Gespräche vor dem Einschlafen blieben aus. Juma lagerte vor dem Zelt seiner Herrin, die beiden anderen schliefen ein Stück davon entfernt, auf der gegenüberliegenden Seite der Feuerstelle.
» Weshalb redet ihr nicht miteinander, Juma?«
» Wollen nicht reden mit Juma. Nur schnell mit Maultieren wieder zurückreiten. Zur Küste. Viel Angst.«
» Angst? Wovor?«
» Nicht wissen. Nicht sagen.«
Es hob ihre gedrückte Stimmung keineswegs, auch wenn sie sich sagte, dass gewiss irgendein afrikanischer Geisterglaube hinter solchen Ängsten stehen musste. Einen wirklichen Grund dafür konnte sie nicht herausfinden. Die Nächte waren ruhig, und in den größeren Dörfern gab es deutsche Polizeistationen.
Am Nachmittag des dritten Reisetages erreichten sie endlich das Missionshaus, das Peter Siegel einige Kilometer von dem Ort Saliene entfernt im Busch errichtet hatte. Charlotte kannte es schon aus Klaras Zeichnungen, es war nicht viel mehr als ein lang gezogener Bau aus Zweigen und Lehm, mit Stroh gedeckt und von ein paar kleinen Nebengebäuden umgeben. Und doch erschien ihr die Missionsanlage wie eine grüne Oase der Hoffnung. Ein Garten mit allerlei Gemüsesorten und Kräutern, Mais, Ananas und kleinen Obstbäumen war neben den Hütten angelegt worden; Ziegen und Hühner liefen vor dem Missionshaus herum, und über allem breitete ein gewaltiger Maulbeerfeigenbaum seine Zweige aus. Er musste uralt sein; sein Stamm war dreigeteilt, die Äste wanden sich knorrig nach allen Seiten, voll besetzt mit süßen Früchten.
Braune Affen, die im Baum herumsprangen, kündigten die Gäste mit lautem Kreischen an. Eine junge Eingeborene erschien am Eingang des Hauses und starrte ihnen mit erschrockenen Augen entgegen, dann verschwand sie. Gleich darauf hörten sie den Aufschrei.
» Charlotte!«
Da war Klara! Himmel, sie mochte es kaum glauben, sie war es wirklich. Kleiner, als sie sie in Erinnerung hatte, das Gesicht rot vor Aufregung, der Leib unter dem weißen Kleid rund wie eine Tonne.
» Du hast tatsächlich zu uns gefunden. Mein Gott– wie weit du gereist bist! Ich komme fast um vor Freude. Lass dich umarmen! Stör dich nicht daran, dass ich dick wie ein Fässchen bin. Ach, Charlotte, meine geliebte große Cousine. Wie… habe… ich dich… vermisst…«
Trotz ihres unförmigen Körpers und des steifen Beins war sie Charlotte entgegengelaufen und hatte sich in die ausgebreiteten Arme der Cousine geworfen. Sie zitterte vor Glück, redete wie ein Wasserfall und begann dabei immer heftiger zu schluchzen. Auch Charlotte weinte, während sie Klara umfangen hielt. Wie zierlich sie war, sie spürte fast nur den unförmigen Bauch, Klaras Körper war mager, ihre Arme waren dünn. Weshalb hatte sie diese Reise erst jetzt angetreten? Sie hätte Klara doch in Daressalam besuchen können. Ach, sie hatte sich selbstsüchtig in ihren Kummer vergraben, sich auf der Plantage eingeigelt und Briefe geschrieben. Als ob Geschriebenes die Gegenwart eines geliebten Menschen ersetzen könnte!
» Gott segne dich, Charlotte!«, hörte sie Peter Siegels Stimme. » Sei uns
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