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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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nur allzu bald stiegen die Nebel aus dem Fluss, um lautlos die Wiesen, Felder und die ganze Stadt zu erobern. Dann legten die Nebelfrauen eine graue Decke über die Häuser, die unter dieser Last niedriger und dunkler erschienen, und wenn sich ein Mensch bei Wind und Regen durch die Straßen kämpfte, hatten die Nebelhexen ihren Spaß daran, sich dicht an ihn zu schmiegen, ihn in ihre feuchten Mäntel einzuhüllen und ihm traurige Geschichten einzuflüstern.
    Charlotte kannte die Tücke der Nebelgeister und wappnete sich gegen ihre Macht. Jede Minute, die nicht mit Schule oder Hausarbeiten belegt war, saß sie am Klavier, übte verbissen neue Stücke ein und berauschte sich an jenen Augenblicken, da die Musik gelang, sich dem annäherte, was der Komponist hatte ausdrücken wollen. Es gab immer wieder heftige Szenen, wenn die Großmutter ihr das Spielen verbieten wollte, denn Charlotte war nicht bereit, sich wortlos zu fügen wie alle anderen im Haus– sie argumentierte, bettelte und konnte gar patzig und aufsässig werden. Das letzte Wort behielt sich stets die Großmutter vor, die solche » Launen« nicht dulden konnte und die Enkelin zu nützlichen Arbeiten abkommandierte. Im kommenden Frühjahr würde Charlotte die Schule beenden, und da sie eine hübsche Mitgift besaß, konnte man auf eine baldige Heirat hoffen. Eben darauf wollte die Großmutter sie vorbereiten. Klavierspielen mochte eine nette Zugabe sein, die ihrem künftigen Ehemann wohl Freude bereiten konnte, doch vor allem galt es, das Mädchen zur klugen Führung des Haushalts anzuleiten, wozu gerade Charlotte ganz hervorragende Anlagen besaß. Sie war flink und geschickt, Kochen lernte sie mit Leichtigkeit, niemand wusste die Tafel so hübsch zu dekorieren wie sie, und wenn sie auf dem Markt einkaufte, handelte sie nach wie vor die günstigsten Preise aus. Die Großmutter hätte stolz auf sie sein können, schien Charlotte doch ganz nach ihr zu kommen– wäre sie nur nicht so eigenwillig gewesen. Nur allzu gern hätte die Großmutter den Klavierunterricht verboten, doch Kantor Pfeiffer nahm kein Geld mehr für die Stunden, er musizierte mit Charlotte aus reiner Begeisterung für die Musik, und der Großvater war der Meinung, man dürfe dem alten Kantor diese Freude nicht nehmen.
    So kam Charlotte weiterhin in den Genuss der Familienjournale, die dieser für seine Schwester abonniert hatte und nach Jahrgängen sortiert in seinen Regalen aufbewahrte. Vor allem die Reiseberichte faszinierten sie, die Fotografien, auf denen die Einwohner exotischer Länder zu sehen waren. Neger mit spitz zugeschliffenen Zähnen und skurrilen Tätowierungen, Tuareg-Krieger, die ihre Gesichter mit Tüchern verhüllten, so dass man nur die dunklen, ausdrucksvollen Augen sah, auch Chinesen in kurzen Kitteln oder blütengeschmückte Frauen in der Südsee, die ihre nackten Brüste zeigten, was Charlotte zutiefst verlegen machte. Auch andere Artikel verschlang sie, Berichte über Konzerte, gesellschaftliche Ereignisse, Staatsbesuche gekrönter Häupter und vor allem den Fortsetzungsroman. Darin ging es immer um ein armes, einfaches Mädchen, das sich in einen aufregenden Mann verliebte, einen höheren Beamten, einen Fabrikbesitzer oder gar in einen Adeligen. Im Grunde war klar, wie die Sache ausgehen würde, dennoch verschlang Charlotte Fortsetzung um Fortsetzung, bangte um ihre Heldin, litt all ihre Herzensqualen, bis das Paar trotz zahlreicher Widerstände und Intrigen glücklich vereint war. Solche Geschichten waren Schundliteratur, die junge Menschen zu Ausschweifungen und Sittenlosigkeit verführte, das wusste sie von den Großeltern, in deren Haus höchstens das Kirchenblatt gelesen wurde, doch das störte Charlotte keineswegs. Auch Klara profitierte von den spannenden Geschichten, die Charlotte ihrer Lieblingscousine abends im Bett erzählte. Sie malte die schönsten Stellen wortreich aus und änderte auch manchmal die Handlung, wenn sie glaubte, sie müsse eigentlich einen anderen Verlauf nehmen.
    Anfang November kündigten Tante Edine und ihr Ehemann Peter einen Besuch an, auch Menna würde dabei sein, dazu die beiden Verlobten. George hatte inzwischen sein Abschlussexamen in England mit ausgezeichneten Ergebnissen bestanden, so dass der Hochzeitstermin für das kommende Frühjahr, noch vor Ostern, anberaumt worden war. Die Feier würde in Emden stattfinden, Pfarrer Peter Kramer selbst wollte seine Tochter und ihren Bräutigam miteinander vermählen und ihnen Gottes

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