Himmel über dem Kilimandscharo
Beschämendes, so Widerliches gesehen.«
» Kommen Sie«, bat er. » Gehen wir ein wenig beiseite, hier wird es zu laut.«
Er bot ihr seinen Arm, und sie hakte sich ohne Zögern bei ihm ein. Langsam gingen sie ein paar Schritte, dann hatte er sich eine Erwiderung überlegt.
» Ich muss gestehen, dass ich ähnlich empfunden habe, aber ich hatte nicht den Mut, aufzustehen und zu gehen, so wie Sie, Fräulein Dirksen. Ich habe Sie sehr bewundert.«
Der Blick, der ihn von der Seite traf, war zweifelnd, vielleicht lag sogar ein wenig Spott darin. Sie schien ihm nicht recht zu glauben.
Dennoch sprach sie weiter.
» Das ist doch ein Mensch, genau wie wir. Was gibt ihnen das Recht, ihn so vorzuführen? Ihn öffentlich zu füttern wie ein wildes Tier? Wie ist es nur möglich, dass all diese Leute so viel Geld bezahlen, um sich etwas derart Niederträchtiges anzusehen? Haben sie kein Herz? Kein Gefühl? Keine Würde?«
» Ich weiß es nicht. Aber oft tun wir Dinge, für die wir uns später zutiefst schämen. Mir ist es heute so ergangen…«
» Mir auch!«, pflichtete sie ihm bitter bei.
Unschlüssig blieb er stehen und überlegte, ob er die Chance ergreifen sollte, die sich ihm bot.
» Würden Sie mir gestatten, Sie nach Hause zu begleiten, Fräulein Dirksen?«
» Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich werde auf meine Cousine warten. Klara ist noch dort drinnen, und ich möchte mit ihr gemeinsam nach Hause gehen.«
Natürlich– wie hatte er das vergessen können. Ihr zärtliches Lächeln fiel ihm wieder ein– sie schien sehr an ihrer kleinen Cousine zu hängen. Er hätte wohl argumentieren können, dass Klara ja mit den Hansens heimgehen konnte, aber das hielt er für unklug. Sie hatte abgelehnt– er würde sie nicht bedrängen.
» Dann gestatten Sie mir, Ihnen so lange Gesellschaft zu leisten, bis die Vorstellung vorüber ist.«
Das wurde akzeptiert, schon deshalb, weil es nicht anging, dass eine junge Frau ganz allein auf dem Markt herumstand. Sie gingen auf und ab, und er bemühte sich, sie zu unterhalten, erzählte von seiner Studentenzeit in Hamburg, von den Schönheiten der großen Stadt, der Binnenalster, dem Hafen, und zu seiner Freude wurde auch sie gesprächig. Sie kannte Hamburg, war als Kind mit ihren Eltern dort gewesen, auch in Bremen und einmal sogar in Rotterdam. Dann lenkte er das Gespräch auf das Geschäft, das ihm so wenig Zeit für Vergnügungen lasse…
» Gibt es den Löwen noch?«
Sie konnte sich tatsächlich daran erinnern! Er versprach, den Löwenkopf aus der Kiste zu nehmen und aufarbeiten zu lassen, und war entzückt, dass sie darüber lächelte.
Die Zeit drängte, schon tönten von der reformierten Kirche sechs Schläge zu ihnen herüber. Gleich würde die Vorstellung beendet sein; vor dem Zelteingang hatten sich schon neue Schaulustige eingefunden, die die nächste Vorführung nicht verpassen wollten.
» Am Freitag feiert die Liedertafel Vereinsfest– werden Sie und Klara auch dort sein?«
Er glaubte sich zu erinnern, dass ihre Großmutter dort Mitglied war, er konnte sich aber auch täuschen. Doch das Glück war ihm hold.
» Ich hatte schon daran gedacht, aber Klara ist dagegen, sie fühlt sich nicht wohl in Gesellschaft.«
» Das ist sehr schade. Ihre Cousine ist ein nettes, hübsches Mädchen, sie darf sich nicht vor aller Welt zurückziehen. Vielleicht sollten Sie ihr ein wenig helfen, damit aus ihr keine Einsiedlerin wird…«
Die ersten Schaubesucher quollen aus dem Zelt, einige hatten noch glasige Augen, die meisten aber lachten und schwatzten voller Begeisterung über das Gesehene.
» Ich werde es mir überlegen«, sagte Charlotte und steckte eine Haarsträhne, mit der der Wind spielte, unter ihren Strohhut. Bevor sie zu Klara hinüberging, bedankte sie sich noch einmal, und dieses Mal lächelte sie ihn an. Freundlich, aber doch mit einem Schuss Ironie, offenbar hatte sie seine Strategie sehr wohl durchschaut.
Die Arpeggien der rechten Hand sanken wie funkelnde Tröpfchen hernieder, bildeten ein Gespinst von unendlicher Zartheit, glitzernd wie ein Sonnenteppich. Leise setzte die Melodie in den tiefen Tönen ein, schwang sich auf, dunkel und schön, wiegte sich in dem glitzernden Vorhang der Arpeggien, verwob sich mit ihm, modulierte in eine neue Tonart…
» Willst du jetzt endlich mit dem Geklimper aufhören!«
Charlotte brach ihr Spiel nicht sofort ab, sie ließ die Arpeggien auslaufen, brachte die Melodie zu einem selbst erfundenen Ende und setzte
Weitere Kostenlose Bücher