Himmel über dem Kilimandscharo
unsympathische Männer und solche, die annehmbar waren, und von denen war Christian Ohlsen eindeutig der annehmbarste. Man konnte sich zwanglos mit ihm unterhalten, er war großzügig, höflich, liebte die Musik, und er teilte ihre Leidenschaft für ferne Länder. Er war gefühlvoll, manchmal sogar etwas übertrieben, er schenkte ihr Blumen und hatte der Großmutter duftende Rosenseife mitgebracht. Er kleidete sich mit Geschmack, und wenn er ihr Komplimente machte, war es nicht nur so dahingesagt, er meinte es ernst. Alles deutete darauf hin, dass Christian Ohlsen in sie verliebt war.
Wie seltsam, dachte sie. Ein Mädchen hat nicht das Recht, seinem Herzen zu folgen, ein Mann aber sehr wohl.
Nachdenklich starrte sie auf die seidenen Blumen, die die Hände ihrer verstorbenen Mutter gestickt hatten. Vor ein paar Jahren hatte der Großvater ihr eröffnet, dass ihre Eltern erst ein Jahr vor der Geburt ihres Bruders Jonny geheiratet hatten. Es war ein Schock für Charlotte gewesen, denn das bedeutete nichts anderes, als dass sie selbst unehelich geboren war. Die schöne Emily Lindley hatte sich dem Kapitän Ernst Dirksen ohne Trauschein hingegeben– aus leidenschaftlicher Liebe. Und er? War er nicht zu ihr zurückgekehrt, um sie zu heiraten? Welche Art von Liebe hatte ihre Eltern denn nun miteinander verbunden? Die echte oder die falsche? Ihr schien, dass sie sehr glücklich gewesen waren, denn sie hatten einander oft umarmt und geküsst.
Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheiben, rannen auf krummen Wegen daran herab, bildeten ein verwirrendes Netz aus durchsichtigen Gängen, die sich schließlich zu einer nassen Fläche auflösten. Was für ein boshaftes Aprilwetter– gerade eben hatte noch die Sonne geschienen, jetzt beugten sich die gelben Narzissen im Blumenkasten unter den Angriffen des herabströmenden Regens. Sie musste an Marie denken, die mit ihrem Ehemann George schon seit vier Jahren in Ägypten lebte. Marie hatte sich damals in George verliebt und seinetwegen ihre Verlobung gelöst. Es konnte also– in seltenen Fällen– tatsächlich vorkommen, dass ein Mädchen den Mann bekam, den es liebte. Marie war das gelungen– war sie deshalb ins Unheil gestürzt? Keineswegs– sie beklagte sich zwar über die Hitze und das Ungeziefer in Ägypten, doch von ihrem George berichtete sie nur Gutes, vor allem, dass er ein begeisterter Vater sei…
Die Stubentür wurde leise geöffnet, Klara spähte durch den Spalt, und als Charlotte ihr zulächelte, zog sie die Tür ganz auf. Während sie in die Stube humpelte, hörte man Tante Fanny in der Küche mit der Großmutter reden, und Charlotte sah erschrocken zu der kleinen Pendeluhr hinüber, die zwischen den Nippesfigürchen auf der Kommode stand. Die Zeiger waren schon auf halb vier vorgerückt.
» Zu Ausflügen haben wir uns einladen lassen. Getanzt hat sie mit ihm auf dem Ball der Liedertafel, mehrmals hintereinander, ich habe es genau gesehen. Dreimal hat er uns schon besucht– und jetzt will sie ihn abweisen! Was glaubt sie denn, wer sie ist? In ihrem Alter kann sie froh sein, noch einen Mann zu finden, sie ist doch keine achtzehn mehr…«
Klara beeilte sich, die Tür zu schließen, so dass Tante Fannys Traktate nur noch gedämpft zu hören waren.
» Sie ist ungerecht, Charlotte. Niemand kann dich zu einer Ehe zwingen, die du nicht willst…«
» Ich weiß…«
Klara humpelte zu ihr hinüber, blieb hinter dem Klavierschemel stehen und legte Charlotte beide Hände auf die Schultern.
» Ich will vor allen Dingen nicht, dass du es meinetwegen tust«, sagte sie eindringlich. » Ich komme auch so zurecht. Vor allem, seitdem ich mit dem Nähen Geld verdiene und auch Mutters Kunden übernommen habe.«
Tante Fanny konnte kaum noch für Kunden nähen, so schlecht waren ihre Augen geworden. Klara aber war sehr geschickt darin, und was sie nähte, gefiel den Leuten. Der Lohn für die viele Arbeit und die langen Nächte beim Schein der Gaslampe war allerdings sehr gering. Christian hatte Charlotte vorgeschlagen, Klara solle bei ihnen leben, so müsse sie sich nicht von ihrer Cousine trennen.
» Wenn du Klavierunterricht gibst und ich für meine Kunden nähe, könnten wir auch so beieinander bleiben«, spann Klara ihre Träume weiter. » Auch wenn… wenn die Großeltern einmal nicht mehr sind. Wir würden hier im Haus wohnen, den Garten bestellen, und dann gibt es doch noch deine Mitgift.«
Charlotte fasste Klaras Hände, die wieder einmal schrecklich kalt
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