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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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quetschte höchstens ein paar Worte unter Maries ausführliche Zeilen, manchmal auch nur einen Gruß und seinen Namen.
    Charlotte holte sich die Genehmigung der Großmutter, die froh war, die lästige Schreiberei aus den Händen geben zu können, und verbrachte drei Nachmittage damit, ihren ersten Brief nach Ägypten zu verfassen. Sie schrieb im Namen der Familie, zählte alle familiären Ereignisse der vergangenen Wochen auf, berichtete vom neuen Rathaus, das in Leer gebaut wurde, von Veranstaltungen der Lutherischen Kirche, fügte auch einige heitere Begebenheiten bei, um Marie ein wenig zu amüsieren.
    Am Ende des Briefes richtete sie Grüße an die Kinder und an George aus. Sie habe das Buch, das er ihr vor Jahren schenkte, mit viel Freude gelesen, nicht nur einmal, sondern sogar mehrfach. Das Englische sei kein Hindernis gewesen, immerhin habe sie die Sprache schon als Kind gesprochen.
    Mehr wollte sie nicht hinzufügen, obgleich es sie drängte, über dieses Buch zu schreiben, ihre Begeisterung über die lebendigen Schilderungen, die Zeichnungen und die phantastische Reise auf dem Nil kundzutun. Wie sehr bewunderte sie diese Frau, die sich in Männerkleidung unter ägyptische und sudanesische Schiffer gewagt hatte, um das Land der Pharaonen zu erforschen.
    Wochenlang wartete sie, hegte eine winzige Hoffnung im Herzen, über die sie nicht einmal mit Klara sprach. Doch das kleine Fünkchen genügte, um die Kälte zu besiegen und ihre Lebensgeister neu zu wecken. Plötzlich fand sie wieder Freude am Klavierspiel; sie bot sich sogar im Liederkreis als Begleiterin an und spielte geduldig Choräle und Seemannslieder, das herzergreifende » Abendlied« von Friedrich Silcher oder vereinfachte Chöre aus den Bach’schen Oratorien.
    » Siehst du, mein Herz«, meinte Christian zufrieden. » Es kommt nur darauf an, sich einer Sache ganz und gar hinzugeben. Ich hörte von allen Seiten Lobeshymnen über dich, und in dem Zeitungsartikel zur Maifeier des Liederkreises wurdest du sogar namentlich erwähnt.«
    Sie lächelte und freute sich darüber, ihm einen Gefallen getan zu haben, obgleich ihr das Lob und die Erwähnung im Anzeiger herzlich gleichgültig waren. Manchmal fragte sie sich, was sie sich von ihren Briefen eigentlich erhoffte. Wenn George ihre Worte überhaupt las, würde er sie im besten Fall erfreut zur Kenntnis nehmen. Im schlimmsten Fall konnte es auch sein, dass er sich an die Szene vor acht Jahren erinnerte und der Ärger wieder in ihm erwachte. Ganz gleich, wie er die Sätze aufnahm– es gab keinen Grund für ihn, ihr eine Antwort zukommen zu lassen.
    Ende Juni traf im Haus der Großeltern ein Brief aus dem britischen Protektorat Ägypten ein. Er enthielt ein langes Schreiben von Marie, eine Photographie und ein zusammengefaltetes Blatt, das die Großmutter an Charlotte weitergab.
    » Was für eine Handschrift!«, meinte sie kopfschüttelnd. » Dabei ist George Akademiker. Ich bin nur froh, dass Marie so schöne, leserliche Buchstaben schreibt.«
    Charlottes Puls raste vor Ungeduld, doch sie musste neben Klara in der Wohnstube des großelterlichen Hauses sitzen, den mitgebrachten Kaffee trinken und Maries Brief laut vorlesen, denn auch Tante Fanny wollte den Inhalt hören, und ihre Augen waren zu schwach, um das Schreiben selbst zu lesen.
    » Wie gut Marie ausschaut!«, stellte die Großmutter fest, die die Brille gezückt hatte, um die Photographie nochmals in Augenschein zu nehmen. » Und die Kleinen, wie sie gewachsen sind. Berta wird sechs in diesem Jahr und Johannes vier…«
    Das Foto erinnerte an die alte, inzwischen bräunlich verfärbte Aufnahme ihrer Eltern, die– immer noch mit dem Trauerflor geschmückt– in der Wohnstube hing. Genauso steif saß Marie auf ihrem Stuhl, sie hatte zugenommen, und ihr Lächeln war weniger kokett als vielmehr triumphierend. Hinter ihr stand George, mit einem hellen Anzug angetan, überschlank, einen Arm herabhängend, den anderen angewinkelt, eine Hand auf Maries Schulter. Sein Gesicht war gebräunt, was einen starken Kontrast zu seinen hellen Haaren und Augenbrauen bildete, seine Wangen wirkten eingefallen, und in seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck, der Ungeduld, aber auch Rastlosigkeit bedeuten konnte. Vermutlich hatte er sich einfach über die endlose Sitzung beim Fotografen geärgert.
    » Magst du uns den Brief an dich nicht vorlesen, Charlotte?«, drängte Tante Fanny.
    » Oh, den muss ich wohl erst einmal in aller Ruhe entziffern. Beim nächsten

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