Himmel über dem Kilimandscharo
Tinné…
Charlotte zeigte diesen Brief niemandem, nicht einmal Klara, die auch nicht danach fragte. Noch bevor Christian zurückkehrte, hatte sie eine Antwort verfasst und zur Post gebracht. Sie hatte die Worte sorgfältig gewählt, denn sie wollte auf keinen Fall, dass George spürte, wie einsam und unglücklich sie sich in ihrer Ehe fühlte. Stattdessen nannte sie einige der Bücher, die sie gelesen hatte, und gab ihr Urteil darüber ab. Gerhardt Rohlfs’ Quer durch Afrika war ihr an manchen Stellen zu oberflächlich erschienen, sie warf ihm vor, sich allzu wenig um das Verständnis fremder Kulturen zu bemühen. Heinrich Barth war sehr umständlich und genau, auch seine Neugier und sein Lerneifer beeindruckten sie, doch seine Schriften waren schwer zu lesen. Henry Morton Stanley empfand sie als unangenehm, marktschreierisch und selbstverliebt. Sie hatte eine Weile gegrübelt, ob Marie vielleicht gar an Georges Reisen teilgenommen hatte, doch wenn es so gewesen wäre, dann hätte Marie der Familie ganz sicher darüber berichtet– George hatte seine Unternehmungen vermutlich in Gesellschaft von Freunden und Einheimischen durchgeführt. Sie schloss damit, dass sie große Freude an seinem Bericht gehabt habe und ungeduldig auf weitere Schilderungen warte.
Der Form halber fügte sie ein Schreiben an Marie bei und auch eine von Klaras Zeichnungen. Natürlich keines der Portraits, sondern ein Bild, das den Blick aus ihrem Fenster zeigte: spitze Dächer, Schornsteine, darüber der grau schraffierte Himmel; die Stellen, die weiß geblieben waren, stellten Wolken dar.
Das wochenlange Warten war zermürbend. Sie stellte sich vor, wie ihr Brief mit der Bahn nach Hamburg gelangte, dann auf einen der Reichspostdampfer verladen wurde und mit anderen Schreiben zusammengeschnürt in einem Postsack irgendwo im Bauch des Schiffes lag. Schwere See hatte das Schiff zu überstehen, besonders im Ärmelkanal, dann im Atlantik entlang der französischen und spanischen Küste, bis es bei Gibraltar das Mittelmeer erreichte. Doch es war Sommer, das Meer würde gnädig sein und den Dampfer mit ihrem Brief nicht etwa in Seenot geraten lassen, er würde in Marseille anlegen, in Neapel und sicher in Port Said an der afrikanischen Küste anlanden. Von dort aus war es nicht mehr weit bis Kairo. Zwei Wochen würde die Fahrt gewiss dauern, wenn George sofort zurückschrieb, konnte sie schon Ende Juli auf seine Antwort hoffen…
Sie blühte auf, bat Christian, ihr Bücher über Ägypten zu kaufen, vertiefte sich in die Geheimnisse der Pharaonen, las über Jean-François Champollion und den Stein von Rosetta, der die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen ermöglicht hatte. Zu ihrer Überraschung schien auch ihr Mann an ihren Studien Gefallen zu finden, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit saß er an den Abenden oft bei ihr, um zu lesen. Wollte er ihr damit einen Gefallen tun? Sie fand es rührend, doch im Grunde auch anstrengend, denn sie verspürte wenig Lust, mit ihm über all diese Dinge zu sprechen. Das Licht, das sie beseelte, hatte nichts mit Christian Ohlsen zu tun.
An einem Abend Anfang August, als sie schon vor Ungeduld verging und überlegte, rasch noch einmal in die Ulrichstraße zu den Großeltern zu laufen, warf Christian nachlässig ein Schreiben auf den Tisch. George hatte den Brief an ihre Adresse in der Pfefferstraße geschickt, das Schreiben hatte zwischen den Briefen gelegen, die der Postbote jeden Morgen in den Laden brachte.
» Marie hat dir wohl geschrieben«, bemerkte Christian.
» Ach ja«, sagte sie rasch und versuchte, ihre Aufregung zu verbergen. » Die Großmutter hatte mich gebeten, den Briefwechsel weiterzuführen…«
Sie legte den Brief scheinbar achtlos zur Seite und begann, von einem seltsamen Besucher zu erzählen, der am Morgen versucht hatte, sich zur Wohnung Zutritt zu verschaffen. Er hatte nach Christian gefragt, und als sie ihm versicherte, ihr Mann sei unten im Geschäft, wollte er ihr nicht glauben.
» Was war das für ein Mann? Wie sah er aus?«
» Er trug eine grüne Weste und hatte einen mächtigen Schnauzbart. Ich glaube, es war ein Händler aus Bremen, doch ich habe leider seinen Namen vergessen…«
Die Ablenkung gelang hervorragend, denn Christian geriet ganz außer sich, schalt über die Frechheit dieses Menschen, der in eine fremde Wohnung eindrang, noch dazu in Abwesenheit des Hausherrn.
» War er denn nicht unten bei dir im Geschäft?«
» Gewiss nicht!«
» Hätte ich besser
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