Himmel über dem Kilimandscharo
halfen. Trost fand sie nur in den wenigen Momenten, in denen sie mit Klara allein war.
» Es hat mich verlassen, bevor ich es kennenlernen, bevor ich es in meinen Armen halten konnte…«
» Es hat deine Liebe gespürt, Charlotte, und das wird ihm für immer bleiben. Weshalb es fortgehen musste, weiß niemand. Gott hat es gerufen, und es musste folgen…«
In der Nacht sah sie nach langer Zeit wieder den stolzen Dreimaster durch die Wogen gleiten, der Wind zerrte an den Segeln, blaugrün glänzte das Meer und weiß der Schaum vor dem Schiffsbug. Der Traum beglückte sie seltsamerweise, in dem gleichmäßigen Rauschen und Schlagen der Wellen löste sich all ihr Kummer auf, und sie fand Erleichterung.
» Habe ich dich nicht gewarnt?«, befand die Großmutter. » Aber du musstest ja ständig am Klavier sitzen. Es kann doch jeder normale Mensch sehen, dass das eine ungesunde Körperhaltung für eine Schwangere ist!«
Zu Christians Entsetzen hielt Charlotte die verordnete Bettruhe nur einen einzigen Tag ein, dann bestand sie darauf, wieder ihr normales Leben zu führen. Es fehlte ihr nichts, sie war auch nicht krank– und auf Beileidsbesuche der Familie konnte sie gern verzichten. Mürrisch saß sie im Salon, klappte dieses oder jenes Buch auf und legte es wieder zur Seite, schlug lustlos einige Akkorde auf dem Klavier an. In ein wollenes Tuch gewickelt, stand sie am Fenster und sah fröstelnd auf die nasse Straße herunter. Köchin und Mädchen konnten ihr nichts recht machen, die Waschfrau bekam ihren Unmut zu spüren, sogar Klara erntete so manche bissige Bemerkung. Christians ständig besorgte Miene ging ihr auf die Nerven, sie entzog sich ihm, so oft es möglich war, ging an den Abenden früh zu Bett und stellte sich schlafend, wenn er zu ihr kam. In den Nächten lag sie wach und grübelte, sehnte sich zurück nach dem lebhaften Treiben, das einst im Haus der Großeltern geherrscht hatte, nach Ettjes dummem Geschwätz, nach Pauls Lausbubenstreichen, ja sogar nach der energisch ordnenden Hand der Großmutter. Wie oft hatte sie damals gewünscht, eine Kammer für sich allein zu besitzen, einen eigenen Schrank oder wenigstens eine Kommode– jetzt verfügte sie über eine ganze Wohnung, hatte Bücher und Noten, Kleider und Schmuck, doch alle diese Dinge bedeuteten ihr nichts.
Weshalb hatte sie nicht Klaras glückliche Natur? Klara konnte sich in alles einfügen, war mit allem zufrieden. Sie nähte und stickte, steckte ihre Nase in verschiedene Bücher und hatte neulich um den Tuschkasten gebeten, den Charlotte achtlos in eine Kommodenschublade geworfen hatte. Nun zauberte sie mit Feuereifer zierliche Blättchen auf das Papier, zeichnete ineinander verschlungene Eisblumen und zarte Federchen.
War das das Leben? Sich einfügen und das Beste daraus machen? Dort, wohin Gott einen gestellt hatte, getreulich seine Pflicht erfüllen? So hatte es der Großvater immer formuliert, und es klang recht vernünftig. Nur hatte Charlotte das Gefühl, an den falschen Platz gestellt worden zu sein.
» Die Frau gehört ins Haus, dort ist sie die Herrin und verwaltet getreulich den Besitz, sorgt für die Erziehung der Kinder. Draußen aber hat der Mann das Sagen, seinen Entscheidungen hat sie sich zu fügen, denn er trägt die Verantwortung für die Familie!«
Christian war jetzt recht häufig unterwegs, oft auch über Nacht, wenn er zu Kunden reisen musste, um irgendwelche Dinge zu regeln, Waren einzukaufen oder sich um Zollangelegenheiten zu kümmern. Wenn er zurückkehrte, wirkte er angespannt auf Charlotte, und ihr Gewissen regte sich, da sie sich kaum noch bemühte, auf seine Wünsche einzugehen. Sie war nicht das hübsch gekleidete Püppchen, das er aus ihr machen wollte, auch nicht die willige Geliebte, die schon gar nicht. Wenn sie sich durchringen konnte, sich besorgt nach seiner Gesundheit zu erkundigen, lachte er sie aus.
Ein paarmal war sie während seiner Abwesenheit hinunter in den Laden gelaufen, was ihr eigentlich verboten war. Sie hatte sich das Lager angesehen und das Treiben der Angestellten im Verkaufsraum beobachtet, das ihr wenig gefallen hatte. Die beiden jungen Frauen waren adrett gekleidet und freundlich, doch wenn sie Kunden bedienten, waren sie schrecklich phantasielos, brachten nur das herbei, was gefordert wurde, und wenn eine Ware nicht vorhanden war, zuckten sie bedauernd die Schultern. Charlotte war sicher, das besser zu können. Man musste mit den Kunden plaudern, eine angenehme Stimmung
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