Himmel über dem Kilimandscharo
So viel Geld für nichts und wieder nichts ausgegeben! Wie gut hätte ich das im Geschäft brauchen können!«
» Aber du hast es doch auch so geschafft, Christian. Das Geschäft läuft doch ausgezeichnet, oder nicht?«
Er blieb stehen, nahm die Hände herunter und starrte sie an. Dann lächelte er und glättete sich das zerraufte Haar.
» Natürlich«, murmelte er. » Alles läuft gut. Aber mit diesem Geld wäre es natürlich leichter gewesen…«
Die Kälte wollte nicht weichen, auch nach Ostern zeigte sich nur selten die Sonne, der Nordwind trug Eisregen mit sich und überzog das Straßenpflaster mit spiegelnder Glätte. Schon wurden Holz und Kohle knapp, denn Charlotte heizte ohne Unterlass. Tagsüber saß sie mit dem Rücken zum Ofen, trug warme Socken und hatte das wollene Tuch fest um die Schultern gewickelt, dennoch waren ihre Finger so kalt, dass sie kaum die Buchseiten umblättern konnte, und an Klavierspielen war schon gar nicht zu denken. Wenn sie zu Bett ging, kauerte sie sich wie eine Katze unter dem Federbett zusammen, umschloss die Wärmflasche mit ihrem Körper und spürte zugleich, wie die Kälte durch ihren Rücken in sie eindrang. Es war nicht die gleiche Kälte, die draußen Eiszapfen an den Regenrinnen wachsen ließ und die Dachschindeln mit blitzendem Raureif bestreute– es war eine andere Art von Kälte, eine, gegen die kein Ofen und kein Feuer half und die sich auch von einem wollenen Schultertuch nicht bannen ließ.
An einem trüben Aprilmorgen stand sie am Fenster und starrte in den grauen Dunst, der vom Fluss über die Stadt wehte.
» Schau«, sagte Klara. » Ich habe es für dich gemalt– gefällt es dir?«
Charlotte seufzte. Klaras Zeichnungen waren fast immer ihr gewidmet, zeigten sie von vorn oder im Profil. Christian und sie hatten der Cousine einen kleinen Tisch und einen Stuhl in den Salon gestellt, damit sie die schönen Polster nicht mit schwarzer Tusche bekleckerte, zumal ihr im Eifer der künstlerischen Inspiration schon einmal das Fässchen umgekippt war.
» Zeig her– wieder ein Portrait von mir? Ich fürchte, es wird mir so gehen wie immer: Ich kann mich auf deinen Zeichnungen nicht wiedererkennen.«
» Nein, diesmal ist es eine Landschaft.«
Hügel waren zu sehen, nur mit wenigen Pinselstrichen hingeworfen, dahinter die kantige Spitze einer Pyramide. Eine Palme, die sich im Wind neigte, anmutig und zäh in ihrer Biegsamkeit. Reiter, kaum angedeutet und doch klar zu erkennen, eine Karawane, die langsam zwischen hohen Sanddünen dahinzog…
» Ich hatte an Marie denken müssen«, erklärte Klara, während Charlotte noch auf den Zeichenblock starrte. » Und an George.«
» An George…«
Wie lange war das her. Neun Jahre nur und doch eine Ewigkeit. Damals, nachdem sie einander auf dem Plytenberg ihre Träume gestanden hatten, hatte sie gehofft, er würde diesen einen Satz, der wie eine Verheißung, wie ein Versprechen geklungen hatte, das alles für sie verändern könnte, zu Ende sprechen, doch er hatte es nicht getan. Und nun war es längst zu spät.
» Weshalb schreibst du nicht einmal an Marie? Ihr letzter Brief liegt seit Wochen bei der Großmutter, und sie kommt nicht dazu, ihn zu beantworten.«
» Ich?«
Klara blickte sie voller Zärtlichkeit an und lächelte wissend. Es hatte sich nichts zwischen ihnen verändert.
» In Ägypten ist es jetzt gewiss so heiß, dass man sogar im Schatten schwitzt.«
Charlotte zögerte. Marie hatte bisher nur an die Großeltern geschrieben und Grüße an alle Verwandten in Leer ausrichten lassen. Sie hatte eine saubere Handschrift wie ein Schulmädchen, und ihre Briefe wurden bei Besuchen gern vorgelesen– beantwortet hatte sie jedoch bisher immer der Großvater. Nie war Charlotte auf die Idee gekommen, einen eigenen Brief an Marie zu schreiben. Warum sollte sie auch? Maries Nachrichten an die Familie beschränkten sich auf ihre Sorgen um die Kinder, das unzuverlässige Hauspersonal, den Mangel an Deutsch sprechenden Bekannten und ihre Angst vor Staub- und Sandstürmen. Ihre überschäumende Fröhlichkeit, ihr Liebreiz sprachen nicht aus diesen Zeilen, diese Eigenschaften zeigten sich vermutlich nur, wenn man Marie gegenüberstand. In ihrem Denken war sie realistisch; sie besaß den praktischen Sinn der Großmutter, war eine gute Ehefrau, eine vernünftige Hausherrin und eine besorgte Mutter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
George hatte noch nie einen längeren Brief an die Leerer Verwandtschaft gerichtet, er
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