Himmel über dem Kilimandscharo
das Mädchen zur Polizeistation geschickt?«
» Aber nein… das nicht… Es ist einfach nur ungehörig, und ich ärgere mich darüber.«
Sie bemühte sich, ihn zu beruhigen, und schob den Brief unauffällig unter eines der Sofakissen, um ihn später ungestört zu lesen. Musste sie ein schlechtes Gewissen deshalb haben? Gewiss war es nicht in Ordnung, Heimlichkeiten vor dem eigenen Ehemann zu haben– doch was tat sie Schlimmes? Es war schließlich kein Liebesbrief, sondern nur ein freundschaftlicher Austausch, und schließlich gehörte George zur Familie. Zudem kam ihre frohe Stimmung auch Christian zugute, sie bemühte sich um ihn, kleidete sich so, wie er es immer gewünscht hatte, steckte ihr Haar auf neue Art auf und zeigte sich zärtlich, wenn er sie begehrte. Was in letzter Zeit jedoch recht selten geschah.
Erst am folgenden Morgen fand sie Gelegenheit, Georges Schreiben zu öffnen. Es war umfangreich, neben einem ausführlichen Brief fand sie zwei eng beschriebene Bögen, auf die Rückseiten hatte er mit Bleistift Skizzen gezeichnet, Pflanzen, verfallene Mauern einer Oasensiedlung, ein Boot mit schmalem Segel und Ruderern auf einem ruhig dahinströmenden Fluss.
Meine liebe Freundin,
mit welcher Begeisterung habe ich dein Schreiben gelesen! Ich ahnte, dass auch du deinen Träumen treu geblieben bist, es konnte nicht anders sein, sind sie doch ein Teil deiner selbst. Ein kluges Mädchen bist du geworden, liebe Charlotte. Dein Urteil über die verschiedenen Reiseberichte deckt sich ganz und gar mit meinem Empfinden, auch ich mag Stanleys Art nicht, obgleich er ein blendender Schreiber ist. Wenn es dir möglich ist, dann besorge dir Quer durch Afrika von Verney Lovett Cameron, ich denke, es wird dir viel Freude bereiten …
Er berichtete nichts von Marie, auch kein Wort von den Kindern, wohl aber einiges über seine Arbeit in der Klinik, die zwar eine britische Einrichtung war, aber auch Einheimische behandelte. Es empörte ihn, dass man auch von den Ärmsten Geld forderte, das sie nicht aufbringen konnten; er hatte diese Menschen einige Male umsonst versorgt und sich dabei Ärger mit seinen Kollegen eingehandelt.
… An den Abenden, wenn ich auf der Dachterrasse die Kühle der Nacht suche, wünschte ich mir oft, du könntest neben mir sitzen, um mir beim Schreiben über die Schulter zu sehen. Ich habe den Plan gefasst, meine Erlebnisse schriftlich niederzulegen, doch ich bin unsicher und fürchte, nicht den rechten Ton zu treffen. Darf ich dich bitten, diese ersten und zweifelsohne sehr ungeschickten Versuche durchzusehen? Im Ernst, Charlotte, du bist die Einzige, der ich diese Blätter anvertrauen mag …
Charlotte musste die Lektüre unterbrechen, um die Gefühle zu ordnen, die jetzt über sie hereinbrachen. Es war vor allem Befriedigung, mehr noch: Es war Triumph. Er vertraute ihr diese Blätter an, nicht Marie, seiner Frau, die doch mit ihm in Ägypten lebte und diese Aufgabe leicht hätte übernehmen können. Zugleich aber stieg Bitterkeit in ihr auf. Er hätte damals nur ein Wort sagen, ihr ein wenig Hoffnung machen müssen. Weshalb hatte er sie niemals aufgefordert, nach Ägypten zu reisen? In seinem Haus zu wohnen, Marie zur Hand zu gehen und ihr Gesellschaft zu leisten? Vor drei Jahren war sie volljährig geworden, da hätte sie über ihre Mitgift verfügen können. Aber er hatte neun Jahre lang geschwiegen, und jetzt jammerte er, wie schön es wäre, wenn sie neben ihm säße!
Ein böser Gedanke beschlich sie. Vielleicht hatte er tatsächlich überlegt, sie einzuladen, und es war Marie gewesen, die damit nicht einverstanden war? Ihre Cousine Marie, die so klug sein konnte und stets bekam, was sie haben wollte.
Gleich darauf schämte sie sich dieses Verdachts und vertiefte sich in Georges Reisebericht. Er zog sie in seinen Bann, kaum dass sie zwei Sätze gelesen hatte, sie glaubte, den rötlichen Staub auf der Zunge zu schmecken, den Kamelgeruch zu atmen, das Geschrei der streitenden Beduinen zu vernehmen. Mit bebendem Herzen las sie seine Schilderung des Sandsturms, der ihn und seine Begleiter fast das Leben gekostet hatte. Sie war neben ihm, kniete inmitten des höllischen Infernos an seiner Seite und spürte, wie er versuchte, sie mit seinem Körper vor den heranbrausenden Sandkörnern und Steinchen zu schützen…
Gewaltsam riss sie sich von dem Text los und stützte den Kopf in beide Hände. Nein, das war lange vorbei. Damals, als Fünfzehnjährige, war sie in George verliebt gewesen,
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