Himmel über dem Kilimandscharo
Begleiter damit begonnen hatten, die Möbel im Salon aufzulisten, Schubladen aufzuziehen und schamlos darin herumzuwühlen. Sie drangen sogar in Klaras Zimmer ein.
Wie hatte sie alle Anzeichen dieses schrecklichen Zusammenbruchs übersehen können? Wo hatte sie gelebt? In ihren Träumen von dem fernen Ägypten, in den Briefen, die sie mit George wechselte?
» Haben Sie es denn nicht im Leerer Anzeiger gelesen? Es wurde unter den amtlichen Nachrichten veröffentlicht.«
Nein, sie hatte nichts gelesen. Christian ließ ihr die Zeitung am Morgen hinaufbringen– hatte er den amtlichen Teil herausgenommen? Aber auch wenn er es nicht getan hatte– amtliche Nachrichten waren ihr immer herzlich gleichgültig gewesen. O Gott! Alle hatten es gewusst, ihre Bekannten, die Sänger des Liederkreises, die Gemeindeglieder der Lutherischen Kirche, vermutlich auch Ettje und Peter, Tante Fanny, die Großmutter… Aber niemand hatte ihr etwas davon gesagt.
» Fassen Sie sich, ruhen Sie sich einen Augenblick aus– dann muss ich Sie leider bitten, sich anzukleiden und die notwenigen Dinge zusammenzupacken…«
Klara hatte aufgehört zu weinen, sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels und streichelte Charlottes Schulter.
» Wie konnte er einfach nach Bremen fahren?«, fragte sie zornig. » Er wusste doch, was hier geschehen würde. O wie feige von ihm, uns mit alldem allein zu lassen!«
» Er wollte Waren einkaufen, Rechnungen bezahlen…«, murmelte Charlotte.
» Ihr Mann kann seit Beginn des Konkursverfahrens keinerlei Geschäfte mehr tätigen, Frau Ohlsen. Seine Handelsbücher sind geschlossen, was bis jetzt noch im Laden verkauft wurde, habe ich selbst verbucht. Leider ist zu befürchten, dass Ihr Mann sich ganz bewusst aus Leer entfernt hat …«
Charlotte wehrte die Verzweiflung ab, die sich lähmend über sie legen wollte. Christian war davongelaufen, weil er die Schande nicht ertrug. Jetzt war es an ihr zu retten, was zu retten war.
Plötzlich wurde ihr klar, dass die Gerichtsleute alle Räume durchschnüffeln würden, noch waren sie in Klaras Zimmer, bald aber würden sie das Schlafzimmer betreten und die Kommode öffnen…
» Es geht mir besser, Herr Sundermann. Ich werde mich jetzt ankleiden. Falls die Herren, die soeben meine Wohnung durchsuchen, mir die Möglichkeit dazu geben…«
» Aber selbstverständlich. Wir werden solange die Wirtschaftsräume überprüfen. Erschrecken Sie bitte nicht– unten im Laden findet bereits eine Zwangsversteigerung statt, die einstweilen jedoch nur die geschäftlichen Räume betrifft…«
Sie würden also den Laden ausräumen, die Regale wegschleppen, die silberne Registrierkasse, die hübsche, kleine Vitrine, die auf dem Ladentisch stand. Diese Geier würden das Lager leeren und den goldgefassten Elefantenzahn, die glitzernden Dolche, den Indianerschmuck und andere Dinge, die Christian mit so viel Begeisterung in Bremen erworben hatte, meistbietend verhökern. Vielleicht auch den alten Löwenkopf, der oben auf dem Dachboden in einer Kiste vor sich hin gammelte. Nein, den wohl nicht– wer wollte dieses Monstrum schon haben?
» Bleib bei der Tür stehen, Klara!«, befahl sie, als sie im Schlafzimmer miteinander allein waren. » Sag mir, ob jemand kommt.«
» Was willst du tun? Hast du nicht gehört, dass du dafür ins Zuchthaus kommen kannst?«
» Das ist jetzt gleich!«
Zitternd verharrte Klara an der Schlafzimmertür. Man hörte das Mädchen heulen, vermutlich waren die Gerichtsleute jetzt in der Küche. Auch die Köchin war eingetroffen, sie schimpfte lauthals und verlangte von Sundermann den ausstehenden Lohn. Was das für eine Gerechtigkeit sei? Die reichen Händler holten sich ihr Geld zurück, aber die Dienstboten, die könne man ja um ihren Lohn prellen…
Jetzt, da ihr Unglück besiegelt war, handelte Charlotte plötzlich klar und zielbewusst. Was auch immer Christian getan hatte– sie würde nicht zulassen, dass man ihnen alles nahm. In der schön eingelegten Kommode, die Christian damals für sie in Hamburg gekauft hatte, befand sich ihr gesamter Schmuck, all die kostbaren Ketten, Ringe und Armbänder, die ihr bisher so gleichgültig gewesen waren. Sie leerte den Inhalt der Schatulle in einen Baumwollstrumpf, warf auch Christians goldene Manschettenknöpfe hinein, einige Goldmünzen, eine Taschenuhr mit Kette. Dann knotete sie das Strumpfende zusammen und band das schmale Bündel unter dem Rock an ihrer weiten, spitzenbesetzten Unterhose fest. Da sollte
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