Himmel über dem Kilimandscharo
Afrika nicht viel anders als daheim in Ostfriesland sein.
» Not this one«, sagte plötzlich eine hohe Stimme. » It’s not ripe. Let’s buy some coconuts and bananas instead …«
Sie wandte sich zur Seite und erblickte einen Europäer im hellen Anzug, den Kopf mit einem Tropenhut vor der Sonne geschützt, an den Füßen weiche, flache Schnürschuhe. Sein Gesicht war bartlos, er musste noch sehr jung sein, das erklärte wohl auch seine helle Stimme. Jetzt beugte er sich über einen Haufen kleiner, brauner Früchte, nahm eine davon in die Hand und prüfte die Qualität. Hinter ihm warteten zwei schwarze Diener mit geflochtenen Körben, in denen schon verschiedene Tüten und Früchte lagen.
Ein Weißer. Immerhin. Ob er zu der Jagdgesellschaft gehörte? Charlotte konnte den Blick nicht von ihm wenden, sah zu, wie er um die Früchte handelte, dann eine Börse aus der Tasche zog und der Händlerin einige Münzen in die ausgestreckte Hand zählte. Irgendetwas war sonderbar an diesem jungen Mann, doch sie hätte nicht sagen können, was. Jetzt sah er sich um, anscheinend wollte er das Warenangebot noch einmal prüfen, und Charlotte blickte ihm für einen kleinen Moment direkt ins Gesicht.
Es war eine Frau! Das konnte keine Täuschung sein, denn jetzt entdeckte sie auch eine lockige, blonde Haarsträhne, die sich seitlich unter dem Tropenhelm hervorringelte und ihr bis auf die Schulter fiel. Charlotte konnte es nicht fassen: Diese Frau trug Männerhosen und darüber eine lockere Jacke, die in der Taille von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Es kam ihr ungemein schamlos vor, und sie ertappte sich bei der Überlegung, ob diese seltsame Frau möglicherweise auch auf das Korsett verzichtet hatte. Dann aber dachte sie an die Frauen, die in Männerkleidung die Sahara und den Nil bereist hatten, und plötzlich empfand sie Hochachtung vor dieser Fremden. Es war mutig und zugleich sehr sinnvoll, diese Kleidung anzulegen, denn so war man für die Strapazen einer solchen Reise viel besser gerüstet.
Die Fremde beachtete Charlotte so wenig wie sonst wen auf dem Markt, ihr Interesse galt offensichtlich nur ihren Einkäufen. Nach wenigen Minuten verschwand sie mit ihren beiden Begleitern im Gewimmel der Käufer, und Charlotte stand immer noch an derselben Stelle, bezaubert, erschüttert, auf jeden Fall aber um eine Erkenntnis reicher.
Endlich riss sie sich los und setzte ihren Gang über den Markt fort, besah schaudernd das auf Brettern ausgelegte Fleisch, auf dem die Fliegen herumkrochen, ging an Körben voll schnatternder Enten und Hühner vorüber und spürte dann, wie ihr ein wenig schwindelig wurde.
Kein Wunder, dachte sie. Die Afrikanerinnen wickeln sich Tücher ums Haar, auch die weiße Engländerin trug einen Tropenhelm, und ich laufe ohne Kopfbedeckung herum.
Sie folgte einem Pfad, der zwischen den Häusern hindurch auf eine breitere Straße führte. Hier gab es Läden, einen neben dem anderen. Dunkle, enge Löcher, aber auch größere Geschäfte, in einigen waren Handwerker bei der Arbeit, andere waren reine Verkaufsläden. Im Gegensatz zu dem lebhaften Markttreiben ging es hier ruhiger zu, nur wenige, ausschließlich schwarze Kunden zeigten an den Waren Interesse, die Händler und Handwerker hockten am Boden auf Teppichen, dösten in der Mittagssonne und harrten der kommenden Geschäfte. Neugierig trat Charlotte näher, um sich die angebotenen Gegenstände zu besehen. Es gab Teekessel und Töpfe, Öllampen, Körbe, buntes Geschirr und allerlei Schmuck oder Amulette, die von Stangen oder von der Decke herabhingen. Kaum ein Laden hatte sich auf bestimmte Waren spezialisiert, jeder schien anzubieten, was er gerade günstig hatte einkaufen können. Säcke mit Reis oder Mais standen neben Lampenöl und Seife, Tücher wehten im Wind, Hüte und Regenschirme lagen auf Teppichstapeln. Vor allem aber befanden sich vor vielen Läden niedrige Bänke, auf denen eine verwirrende Vielfalt der verschiedensten Gewürze ausgestellt war.
Wie magisch angezogen beugte sie sich über die kleinen Körbe, in denen sich die duftenden Körner und Samen, die Beeren, Wurzeln oder Knollen befanden. Nur die rotbraunen, harzig riechenden Muskatnüsse, die auf der Oberfläche merkwürdig gewundene Muster aufwiesen, und die schwarzen, schrumpligen Pfefferkörner waren ihr bekannt. Der Inhalt der meisten Körbchen war ihr jedoch vollkommen fremd und voller Geheimnisse. Da gab es kleine, braune Sterne, die wie Anis dufteten, schwarze Krümel von
Weitere Kostenlose Bücher