Himmel über dem Kilimandscharo
Kundschaft im Laden, zwei farbige Frauen erwarben Gewürze und Reis, den er abwog und in die mitgebrachte Korbtasche füllte. Dann untersuchten sie sämtliche Teekessel, wogen sie in der Hand, inspizierten Tülle, Henkel und Boden, bis sie sich endlich für ein Exemplar entschieden. Sie feilschten eine Weile mit viel Gelächter und lebhaften Gesten, und der indische Händler ging mit freundlicher Ruhe darauf ein, verlor niemals sein Lächeln, und am Ende schienen beide Parteien mit dem Handel zufrieden zu sein.
Als sie den Laden verlassen hatten, wandte er sich Charlotte zu.
» Sie haben es sich überlegt?«
» Ich würde das Tuch gern noch einmal sehen.«
» Legen Sie es sich um– hier ist ein Spiegel.«
Er hatte die Tücher schon wieder ins Regal geschichtet, das Seidentuch lag obenauf, und als er es entfaltete, breitete es sich vor Charlotte aus wie eine wehende, goldene Fahne. Es fühlte sich an wie ein luftiger Hauch, eine ferne, zärtliche Erinnerung, fein wie ein Spinnweb und doch ein sicherer Schutz, kühl und wärmend zugleich. Er hielt ihr einen runden, in Silber gefassten Handspiegel vor.
» Es ist Ihre Farbe. Die Farbe Ihrer Augen.«
Also hatte auch er es bemerkt. Sie drapierte das Tuch auf andere Weise, kreuzte die Enden unter ihrem Kinn und schlang sie im Genick zusammen.
» Ich habe eine Frage.«
Er schien etwas geahnt zu haben, denn seine Augen zogen sich ein wenig zusammen, und um seinen Mund legte sich ein ironischer Zug.
» Fragen Sie…«
» Ich möchte einen Laden mieten, um ein Geschäft zu eröffnen.«
Was immer er erwartet hatte, dies war es wohl nicht gewesen.
» Hier? Was wollen Sie verkaufen?«
» Alle möglichen Waren. Töpfe, Teppiche, Stoffe, Gewürze. Meine Cousine kann gut nähen, wir können Gewänder herstellen…«
Sie erzählte, dass sie schon als Kind auf dem Markt gehandelt habe, dass sie einen Laden für Kolonialwaren besessen hätten, dass das Handeln ihr im Blut läge und sie die feste Absicht habe, hier neu anzufangen.
Er hörte ihr geduldig zu, dann erklärte er bedauernd, dass alle Läden besetzt seien. Es sei nicht einfach, hier in der Gegend ein Haus zu mieten.
» Es braucht nur ein ganz kleiner Laden zu sein. Für den Anfang. Kennen Sie niemanden, der von hier fortgehen will? Oder jemanden, der sein Geschäft aufgibt?«
Er betrachtete sie immer noch mit schmalen Augen, jetzt schien sogar Misstrauen darin zu liegen, und ihre Hoffnungen sanken.
» Sie sind eine Deutsche?«, wollte er wissen.
» Ja.«
Er schwieg, sah zu, wie sie das Tuch wieder löste, eine andere Variante versuchte. Trat hinter sie und sah über ihre Schulter hinweg in den Handspiegel, der ihr Gesicht zeigte, von goldener Seide umflossen. Die Frage, die man ihr so oft gestellt hatte, schwebte unausgesprochen im Raum, doch dieses Mal standen die Zeichen andersherum. Was in der kleinen Stadt Leer ein Makel gewesen war, konnte hier vielleicht eine Tür aufstoßen.
» Meine Großmutter war Inderin. Leider weiß ich nicht einmal ihren Namen. Ich war noch klein, als meine Eltern und mein Bruder starben…«
» Ihre Großmutter kam in Ihnen zurück.«
Sie begriff den Sinn dieses Satzes erst viel später, als sie ihn näher kannte. Jetzt, in diesem Moment, fand sie diese Bemerkung reichlich verrückt.
» Der Mann, der den Laden nebenan führt, wird in ein paar Wochen nach Usambara gehen«, erklärte er gleichmütig. » Die Plantagen, die die Ostafrikanische Gesellschaft anlegen will, werden viele Leute anziehen. Die Deutschen sind gute Kunden, sie brauchen viele Dinge, außerdem bezahlen sie ihre Arbeiter pünktlich. Die Afrikaner sind wie die Kinder, kaum haben sie ein wenig Geld verdient, kaufen sie sich billige Messer und schöne Gewänder, Schmuck, silberne Knöpfe und Alkohol.«
Die Art, wie er von den » Afrikanern« redete, gefiel ihr nicht; es lag unendlich viel Verachtung darin. Doch sie ergriff die Chance, die er ihr bot.
» Dann könnte ich den Laden vielleicht mieten? Wem gehört er? An wen muss ich mich wenden?«
» Er gehört mir«, sagte er leise. » Aber ich kann Ihnen nicht den ganzen Laden vermieten, einen Teil davon brauche ich als Lager.«
» Das wäre nicht so schlimm. Ich will ja klein anfangen«, erklärte sie eifrig. » Wie hoch wäre die Miete?«
» Es ist nicht nur der Laden, ich vermiete auch die Wohnung, die darüber liegt.«
Die Wohnung hatte drei Zimmer, es gab eine Wasserleitung und eine einfache Kochstelle, worunter sie sich nicht viel vorstellen
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