Himmel über dem Kilimandscharo
den nächsten Tagen. Nur damit alles seine Ordnung hat.«
Er war nicht dumm, dieser Ebert, ganz und gar nicht. Seine Augenbrauen zogen sich immer häufiger nach oben, und die wohlwollende Heiterkeit in seinem rot verschwitzten Gesicht hatte etwas Spöttisches bekommen. Er hatte Christian Ohlsen als das eingeschätzt, was er war: ein Phantast. Konnte sie deshalb zornig auf Ebert sein? Im Grunde nicht, denn wie alle Beamten tat er nur seine Pflicht. Dennoch spürte sie deutlich, dass sie diesen Menschen nicht mochte.
» Verfügen Sie über Mittel?«, fragte er Christian beiläufig.
» Eine gewisse Summe können wir anlegen…«
» Das ist gut. Wer völlig mittellos hierherkommt, hat es am Anfang recht schwer. Nun– ich schlage vor, Sie leben sich erst einmal ein wenig bei uns ein.«
Ebert verabschiedete sich von den » Damen« mit besonderer Herzlichkeit, empfahl ihnen, das Konzert der Militärkapelle am Sonntag anzuhören, und erwähnte die verschiedenen Aktivitäten, die die Ehefrauen der Offiziere und Verwaltungsbeamten entfalteten.
» Um Ihre Sicherheit brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, meine Damen«, sagte er und ließ den Blick von Klara zu Charlotte wandern. » Die Zehnte Kompanie ist in Daressalam stationiert, außerdem haben wir seit einigen Jahren eine Polizeitruppe, die überall im Land für Ordnung sorgt. Fühlen Sie sich also bei jedem Ihrer Schritte von uns behütet…«
Vor dem Stadthaus atmete Charlotte tief die feuchte, warme Küstenluft ein. Ein Schwarm weißer Vögel strich rauschend über sie hinweg, berührte im tiefen Flug fast die grünen Palmwedel und verschwand landeinwärts. Von irgendwoher wehten fremdartige Klänge herüber, eintönig und voller Melancholie, in einem gleichförmigen Rhythmus, der dem langsamen Puls der gelbbraunen, afrikanischen Erde zu entspringen schien. Sie spürte, wie die Spannung und der Widerwille in ihrem Inneren sich lösten und eine frohe, scheinbar grundlose Zuversicht aufkam. Das Herz dieses Landes schlug nicht in der Amtsstube des deutschen Beamten, es schlug hier draußen, man spürte sein Pochen in jedem Atemzug, in jedem Laut und in allen Poren des Körpers als den uralten, unvergänglichen Rhythmus des Lebens.
» Was für ein netter Mensch«, sagte Christian angeheitert. » Ich denke, wir werden die kleinen Schwierigkeiten bald elegant umschifft haben.«
Ein donnernder Kanonenschuss durchschnitt die Mittagsstille, und alle drei fuhren erschrocken zusammen.
» Das war unten am Strand«, stammelte Klara.
» Soweit bekannt, gibt es hier zur Zeit keine Kämpfe«, murmelte Christian. » Vielleicht sind die verdammten Engländer…«
Er hielt abrupt inne, als hinter ihnen lautes, schadenfrohes Gelächter ertönte. Zwei farbige Frauen in bunten, langen Röcken standen dort, klatschten in die Hände und bogen sich vor Vergnügen über die schreckhaften Weißen.
» Bum Bum!«, rief eine von ihnen. » Pumsika, bwana. Arbeit aus. Kanone sagt: Es ist Mittag…«
» Großer Gott!«, murmelte Christian und wischte sich den Schweiß ab. » Was für ein Land! Haben die keine Kirchturmuhren?«
Der Whisky hatte Christians Begeisterung zwar beflügelt, im Postamt angekommen, erklärte er jedoch, sich ein wenig ausruhen zu wollen. Sie seien schließlich seit dem frühen Morgen auf den Beinen, und jetzt, zur Mittagszeit, habe es wenig Sinn, bei der Ostafrikanischen Gesellschaft vorzusprechen.
Charlotte verspürte keine Müdigkeit, im Gegenteil, sie fieberte vor Neugier auf das Leben in dieser Stadt, das sich jenseits deutscher Verwaltungsbauten und heckenumzäunter Grünanlagen abspielte. Aber wo? Bei der Einfahrt in den Hafen hatte sie den Eindruck gehabt, dass die neuen, hellen Bauten vor allem in der Mitte und im Osten der Stadt lagen. Im Westen, zum Landesinneren hin, schienen andere Farbtöne vorzuherrschen, helles Grau, Braun, Sand und Ocker, auch waren viele Häuser zwischen der üppigen Vegetation nur zu erahnen, aber nicht deutlich zu erkennen gewesen. Dort lagen vermutlich die Viertel der Schwarzen, die Läden der Inder und Araber.
Sie sagte Christian nichts von diesen Gedanken und zog sich mit Klara in ihre provisorische Unterkunft zurück. Klara war sehr erschöpft; auf dem Schiff hatte sie meist in der Kabine gesessen, nun fiel ihr das Gehen noch schwerer als zuvor. Dennoch war sie– genau wie Charlotte– innerlich von all dem Neuen aufgewühlt, und als sie nebeneinander auf dem schmalen Bett lagen, redete Klara ohne Punkt und Komma.
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