Himmel über dem Kilimandscharo
konnte. Morgen früh könne er sie ihr zeigen, jetzt habe er niemanden, der auf seinen Laden aufpasste.
» Wo kaufen Sie die Waren ein?«
Er lächelte, überlegen oder auch mitleidig. Noch nie hatte sie einen Menschen getroffen, der so schwer einzuschätzen war. Bot er ihr Laden und Wohnung an, weil sie eine indische Großmutter hatte? Oder einfach nur, weil sie ihm gefiel?
» Ich werde Ihnen beim Einkauf helfen.«
Konnte sie ihm trauen? Ihr Gefühl sagte, dass er noch einen anderen Grund haben musste, ihr dieses Angebot zu machen. Vielleicht wollte er ihr einfach nur ihre Ersparnisse abknöpfen. Und dennoch meinte sie, keinen abgefeimten Betrüger vor sich zu haben. Aber natürlich– sie konnte sich täuschen.
» Ich komme morgen früh, um mir die Wohnung anzusehen. Bitte geben Sie sie bis dahin an keinen anderen.«
» Natürlich nicht.«
Sie zog das Tuch von den Haaren und hielt es in den Händen. Es warf weiche Schatten und sah aus wie ein goldschillernder Strom, der durch ihre Finger floss.
» Für vier Mark nehme ich es«, sagte sie kühn.
Zuerst sah man nur seine Schultern zucken, dann hörte man ihn kichern, schließlich lachte er. Nicht laut, sondern eher still, aber dennoch schien er köstlich amüsiert.
» Nehmen Sie es mit– es ist ein Geschenk von Kamal Singh. Ich werde morgen früh auf Sie warten.«
Die Wohnung war für europäische Verhältnisse mehr als primitiv. Zur Straße hin gab es zwei kleine Fenster, auch auf der Nordseite, wo eine Gasse einmündete, drang durch eine viereckige Maueröffnung ein wenig Licht ein, vor allem aber diente diese Öffnung als Rauchabzug für die Kochstelle. Ansonsten war es finster, in den kleinen Schlafräumen konnte man nicht einmal stehen, da das flache Dach zur straßenabgewandten Seite stark abfiel, damit das Regenwasser ablaufen konnte. An vielen Stellen bröckelte der Putz von den Wänden, was der Vormieter durch bunte Wandteppiche verdeckt hatte, der Fußboden war zum Teil mit Fliesen belegt, die sich jedoch schon abgelöst hatten oder zerbröckelten.
Die indische Familie schien sich wenig daran zu stören, sie begrüßten Kamal Singh wie einen guten Bekannten, waren freundlich zu den drei Deutschen und reichten ihnen sogar Tee in winzigen, schön bemalten Tässchen. Es gab nur wenige Möbel, man saß auf einer geflochtenen Matte am Boden, und auf den niedrigen Betten tummelten sich vier Kinder, das kleinste mochte noch kein Jahr alt sein.
Christian hielt seine Empörung zurück, bis sie wieder unten auf der Straße waren, dort teilte er Kamal Singh freundlich, aber entschieden mit, dass er nicht beabsichtige, diese Wohnung zu mieten. Dann entfernte er sich mit energischen Schritten in der festen Meinung, dass Charlotte und Klara ihm folgten. Doch er hatte sich getäuscht. Als er sich nach einer kleinen Weile umwandte, standen die beiden Frauen immer noch vor dem Geschäft des Inders, und er war gezwungen umzukehren.
» Was ist los? Willst du etwa in dieses Loch einziehen?«
» Ich will mir den Laden ansehen«, erklärte sie in festem Ton.
Kopfschüttelnd geduldete er sich. Der Laden war nicht mehr als ein kahler Raum mit schmutzigen, ehemals weiß getünchten Wänden. Ein wackliges Regal wollte der Vorbesitzer ihnen zurücklassen, vermutlich weil es die Reise in die Berge nicht überstehen würde, alles andere wollte er mitnehmen. Ein Vorhang teilte den hinteren Bereich des Ladens ab, dort lagerten Kisten und in Leinwand eingenähte Warenballen, die Kamal Singh gehörten. Wenn genügend Platz war, könnten sie dort ebenfalls ihre Sachen aufgewahren, wenn er den Raum jedoch benötigte, müssten sie ihn räumen.
» Du bist nicht recht gescheit!«, schimpfte Christian, als die beiden Frauen zu ihm zurückkehrten. » Dieser Bursche hat es nur auf unser Geld abgesehen. Schau ihn dir doch an!«
Charlotte war zornig, denn er hatte so laut gesprochen, dass Kamal Singh, der wieder in sein Geschäft zurückgekehrt war, ihn hören konnte.
» Ich will diese Wohnung und diesen Laden mieten, Christian!«
» Nicht mit meinem Einverständnis. Ich bin dein Ehemann, ohne meine Einwilligung kannst du keinen Vertrag unterschreiben. Falls du es vergessen haben solltest: Wir leben hier unter deutschem Recht!«
» Bitte«, sagte Klara verzweifelt. » Streitet doch nicht. Noch dazu mitten auf der Straße!«
» Und womit gedenkst du, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten?«, fragte Charlotte wütend, ohne sich um Klaras Flehen zu kümmern. » Von deinem Traum,
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