Himmel über dem Kilimandscharo
Eine Pflanzung, das wäre doch schön, Charlotte. Weit draußen in den Bergen, wo die Luft kühl und frisch ist. Ein Haus, ganz für uns allein, ein kleiner Garten, wo man Kartoffeln und Gemüse anbauen könnte…«
Charlotte seufzte tief. Ein schöner Traum.
» Du würdest wohl lieber draußen in der Einsamkeit leben als in der Stadt, nicht wahr?«
Klara gab es zu. Die Luft war hier so drückend, diese klobigen, weißen Bauten, die breiten Straßen und dann natürlich das Fieber.
» Wie einfach hat es doch die Verlobte unseres freundlichen Helfers«, stellte Charlotte voller Neid fest. » Sie wartet in aller Ruhe ab, bis die Plantage komfortabel genug eingerichtet ist, und setzt sich dann ins gemachte Nest.«
Klara wandte ihr das Gesicht zu und lächelte sie an. Charlotte fühlte sich ertappt und errötete.
» Ein Baron ist er«, flüsterte Klara nachdenklich. » Aber gar nicht stolz und hochnäsig. Seine Verlobte muss ihn sehr lieben, dass sie um seinetwillen ihr angenehmes Leben in Deutschland aufgeben will. Gewiss ist auch sie von Adel und sehr wohlhabend.«
Charlotte schwieg. Das Leben war viel einfacher, wenn man über Geld und Einfluss verfügte, sogar hier in der Kolonie galt dieses Gesetz. Max von Roden war mit Ebert befreundet, vielleicht sogar mit dem Gouverneur bekannt, er hatte sich eine Plantage gekauft, konnte seine Arbeiter bezahlen, und ganz sicher genoss er die volle Unterstützung der deutschen Kolonialregierung.
» Ich will mich umsehen, Klara. Bleib ruhig liegen, und schlaf ein wenig, ich bin bald wieder da.«
Mit entsetzten Augen verfolgte Klara, wie Charlotte sich zum Ausgehen fertig machte.
» Aber du kannst doch nicht ganz allein…«
» Du hast doch gehört, dass sie uns auf Schritt und Tritt behüten!«
» Aber was soll ich Christian sagen?«
» Dass ich mir die Stadt ansehe.«
Sie fühlte sich frei wie ein Vogel, ein Zustand, an dem sie sich berauschte. Wann war sie jemals ganz allein unterwegs gewesen? In Deutschland war es nicht üblich, dass eine junge Frau ohne Begleitung durch fremde Straßen lief; nur in Hamburg, als sie den Schmuck verkaufte, hatte sie Christians Begleitung energisch von sich gewiesen. Damals war sie in gedrückter Stimmung und mit schlechtem Gewissen von Laden zu Laden gegangen; bei ihrer Rückkehr hatte sie sich einen Sack voller Vorwürfe anhören müssen. Jetzt verspürte sie keine Gewissensbisse mehr. Was sie tat, war vielleicht unvernünftig, doch es war ihre eigene Entscheidung, niemand war für sie verantwortlich. Schon gar nicht Christian, der vorhin in der Amtsstube noch allerlei dummes Zeug geschwafelt hatte.
Es war still im Postamt, nur in einem Raum hörte man das leise Summen und Klicken des Telegraphen. Draußen empfing sie die gleißende, afrikanische Sonne, die inzwischen fast alle Pfützen im rötlich gelben Boden aufgeleckt hatte. Bauschige weiße Wolken zogen über den Himmel– nach Regen sahen sie nicht aus, vielleicht waren die Güsse für heute ja vorüber.
Sie ging die schnurgerade Straße hinunter in Richtung Hafen, um von dort aus weiter nach Westen zu gelangen. Eine Gruppe schwarzer Frauen begegnete ihr, die Körbe mit Wäsche auf den Köpfen transportierten, und sie bewunderte ihren sicheren, geschmeidigen Gang, bei dem sie nur die Hüften sanft bewegten. Einige stützten die Last mit einem Arm, andere balancierten sie frei auf dem Kopf, schwatzten und kicherten dabei und schienen sich keine Sorgen darüber zu machen, dass die Wäsche aus dem Korb fallen könnte. Charlotte spürte ihre verwunderten Blicke, und eine kleine Unsicherheit stieg in ihr auf. Offensichtlich war es auch hierzulande nicht üblich, dass eine weiße Frau ganz ohne Begleitung herumlief.
Kurz vor dem Hafengebäude entdeckte sie ein Straßenschild, das von einer großen Schirmakazie beschattet wurde. » Kaiserstraße«, war darauf zu lesen. Sie musste lachen. Im Gezweig der Akazie spielten graue Äffchen, sie hatten runzlige, dunkle Gesichter und sahen mit klugen Augen zu ihr herab. Bald entdeckte sie auch das Afrika-Hotel, einen leicht verblassten, altmodischen Bau mit schmalen Säulchen und bunten Fenstervorhängen. Eine Menge dunkelhäutiger Männer hatte sich vor dem Gebäude versammelt, einige standen beim Eingang und gestikulierten, andere hockten gleichmütig am Boden, als wären sie nur zufällig hier, um eine gemütliche Mittagsrast zu halten. Charlotte vermutete, dass die Jagdgesellschaft, die mit dem Dampfer gekommen war, einheimische
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