Himmel ueber fremdem Land
einzuführen. Ich dachte, heute sehen unsere Bekannten und Verwandten alle gleich aus, doch nun fürchte ich, Edith ist weitaus nobler gekleidet als viele der anwesenden Damen.«
»Die passende Garderobe ist nicht das eigentliche Problem, das dich umtreibt, nicht wahr?«, zischte Demy. Noch immer durchsuchte sie in ihrem Gedächtnis Fräulein Cronbergs Ausführungen darüber, welche Partien zwischen den unverheirateten jungen Leuten innerhalb des exklusiven Zirkels in nächster Zeit erwartet wurden. Und in Verbindung mit Hannes waren viele Namen gefallen, niemals jedoch »Edith Müller«.
»Dein Scharfsinn ist bemerkenswert«, raunte Hannes ihr zu.
»Mag sein, aber dein Tun heute grenzt an Dummheit. Du kannst doch diese arme Frau nicht einer ganzen Horde rein wirtschaftlich denkender Industrieller auf einmal aussetzen!« Demy presste erschrocken eine Hand vor den Mund. »Entschuldige bitte. Das war respektlos.« Der Getadelte schüttelte nur den Kopf, was Demy veranlasste, fortzufahren: »Ich bin fremd in Berlin, und dies ist erst der zweite Ball, den ich als Tillas Begleiterin besuche. Aber ich stehe dabei stundenlang gelangweilt herum und höre mir die Unterhaltungen der Gäste an. Sie dulden wohl schwerlich jemanden in ihren Kreisen, der nicht von jeher zu ihnen gehört!«
»Demy, ich dachte, du würdest mir Mut machen und mir helfen. Zumindest was deine Schwester betrifft …«
»Ich denke, Tilla ist dein geringstes Problem. Aber dein Vater und dein älterer Bruder …? Wäre es nicht besser, du bringst das arme Fräulein Müller ganz schnell hier weg und versuchst später in Ruhe mit deiner Familie ein Gespräch über deine Zuneigung zu einer sympathischen, aber nicht deinem Stand entsprechenden Frau zu führen?«
»Du übertreibst!«
Das Mädchen presste unschlüssig die Lippen aufeinander und warf einen Blick zurück auf die nervös wartende Frau im Fenstergiebel.
Sie selbst verspürte dem Patriarchen der Meindorffs gegenüber einen gewaltigen Respekt, wenn nicht sogar Furcht. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Hannes von ihm die Erlaubnis erhielt, eine einfache Arbeiterin zu heiraten. Und sein Ansinnen, sie auf dem Fest unter all die Industriellen, Professoren, Architekten, Juristen und Militärs einzuschmuggeln, barg die Gefahr, zu einem unüberschaubaren Skandal zu eskalieren. Allerdings konnte sie für Hannes nicht mehr tun, als ihn zu warnen. Hierbei handelte es sich um seine Familie und seinen Bekanntenkreis, und demnach war es seine Entscheidung, wie er in dieser Sache vorging.
»Ich stehe zu dir, Hannes, das weißt du. Aber ich zähle hier nicht.«
»Für mich schon, kleine Demy.«
Das Mädchen schüttelte temperamentvoll den Kopf. »Überleg es dir noch mal. Und vor allem, besprich dich mit deiner ängstlichen Freundin«, raunte sie ihm zu.
»Wir möchten heiraten. Eines Tages muss ich sie meiner Familie vorstellen.«
Wieder wandte Demy sich um. Die Kristallprismen an den Kronleuchtern reflektierten den flackernden Kerzenschein in einem vielfarbigen Licht, sodass die hellbraune Farbe der Wand wunderschön zur Geltung kam und die weißen Stuckverzierungen deutlicher hervortraten als bei Tage. Durch die mehrfach unterteilten Fenster drang der unruhige Feuerschein der Fackeln herein, und davor stand Edith wie ein unscheinbarer schwarzer Schatten, ein Fremdkörper in dieser gleißenden Welt aus Macht und Prunk.
»Hannes! Ich wusste nicht, dass du hier bist! Endlich ein Lichtblick in dieser politisierenden Männergesellschaft!«, rief eine Stimme gegen die Tanzmusik und den Geräuschpegel der Gäste an.
In dem Sprecher erkannte Demy diesen Adalbert Ahlesperg. Er stürmte auf Hannes zu und schüttelte ihm erfreut die Hand. »Ein Fest ohne dich ist immer eine furchtbar ernste Angelegenheit. Du bist so erfrischend und heiter. Deinen zynischen Adoptivbruder hast du aber diesmal vergessen?«
»Der treibt sich in Deutsch-Südwest herum.«
»Macht er dort die Betten schöner Damen unsicher?« Adalbert lachte, bevor er Demy einen Blick zuwarf. Er wusste sichtlich nichts mit ihr anzufangen, grüßte sie jedoch mit einer formvollendeten Verbeugung. Demy wollte schon knicksen, wie ihre Lehrerin es ihr beigebracht hatte, doch beseelt von dem Wunsch, ihn von Edith abzulenken, gönnte sie ihm lediglich ein knappes, gnädiges Nicken und stellte sich als Tillas Schwester vor.
Nun war es an Hannes, belustigt auflachen. Dies verging ihm aber schnell, als Adalbert trotz Demys
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