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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Buechle
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sein. Ob es während der letzten Wochen Probleme gegeben hatte? In einem der von ihnen bereisten exotischen Länder? Oder zwischen ihr und ihrem Ehemann? Oder war Tilla schwanger?
    Demy nahm sich schweren Herzens vor, sich in Geduld zu üben. Sie hielt sich am Rande der Tanzfläche auf und beobachtete, wie sich die zerlumpten Damen und Herren auf ihrem Arme-Leute-Ball königlich amüsierten und den erlesenen Speisen und Getränken zusprachen. Das Orchester spielte zwischen Wiener Walzern und temperamentvollen ungarischen Tänzen auch in Demys Ohren unschöne preußische Märsche. Sie fand es auch viel schöner, die Herrschaften Walzer tanzen zu sehen, wenn diese ihre vornehmen schwarzen Fracks und die im Licht der Kerzen funkelnden und schimmernden Festkleider und passenden Schmuck trugen, als in der heutigen Verkleidung.
    Verstohlen drückte Demy sich mit dem Rücken gegen den Samtvorhang vor einer der Fensternischen und hoffte, bei dem fröhlichen Trubel halbwegs unsichtbar zu sein. Henriettes Lehrstunden weihten sie zwar zügig und gut in die Tätigkeiten und Geheimnisse eines hochgestellten Dienstmädchens ein, dennoch fühlte sie sich jetzt gerade zu sehr als das, was sie war: viel zu jung für dieses Fest.
    In einer Traube von munteren Freunden näherte sich ihr Joseph Meindorff der Jüngere, den sie seit der Ankunft am Vortag noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
    »Was du versäumt hast? Nichts, würde ich sagen«, erklärte ihm jemand laut lachend.
    Ein anderer Mann schlug Joseph kräftig auf die Schulter. »Was erzählst du da? Im April fand ein Fußballspiel zwischen dem deutschen Kaiserreich und der Schweiz statt. Wir haben drei zu fünf verloren. Und in London wurden die neunten Olympischen Spiele abgehalten. Ich war dort und muss sagen: Es war großartig! Es wurde eigens ein neues Stadion erbaut.«
    »Nachdem du wieder abgereist warst? Kannst du dich nicht mal im Ausland benehmen?« Die Männer lachten rau und prosteten Joseph zu.
    »Mir kam zu Ohren, in Ägypten müssten sie jetzt neue Pyramiden bauen …«, gab der Uniformierte namens Adalbert launig zurück.
    Joseph grinste über den Seitenhieb auf seine Kosten und stellte einem vorbeieilenden Diener sein geleertes Glas auf das silberne Tablett.
    So unauffällig wie möglich trat Demy ein paar Schritte beiseite und versteckte sich in der Fensternische. Der Wind spielte mit der kostbaren Spitzengardine, während im Park unzählige Fackeln munter vor sich hin flackerten und die Stauden, Rosenbüsche und Zierbäume in ein geisterhaftes Licht tauchten.
    Wie gerne wäre sie jetzt dort unten an der frischen Luft spazieren gegangen, umgeben von duftenden Rosen und nächtlichem Frieden, statt sinnlose Unterhaltungen anhören zu müssen und eitle Menschen um sich zu haben. Ihre Aufgabe jedoch war ständige Erreichbarkeit und Fürsorge für Tilla.
    »Gibt es auch Neuigkeiten außerhalb des beschränkten Horizonts dessen, was Adalbert interessiert?«, hakte Joseph nach.
    »Unser Berliner Universitätsrichter Daude hat ein Urteil gefällt, dass Juden kein Satisfaktionsrecht besitzen. Du darfst jetzt also getrost jedem Juden die Frau ausspannen oder ihn beleidigen.«
    »Das ist für Joseph doch uninteressant.«
    »Mir scheint, ich habe euch hier gefehlt.«
    »Richtig, es war so gut wie nichts los«, mischte sich eine süffisant klingende Männerstimme in das Gespräch ein. »England hat einen neuen Premierminister, Asquith. Für Sie interessant ist aber eher der neue Handelsminister, ein gewisser Winston Churchill. Das dänische Parlament hat ein neues Wahlrecht eingeführt. Dort dürfen jetzt auch Frauen wählen, zumindest diejenigen, die selbst oder deren Männer Steuern zahlen. Zwei Wochen später hatten wir hier wieder Demonstrationen gegen das Dreiklassenwahlrecht und in Frankreich besaß eine Frau den Nerv, für Gemeinderatswahlen zu kandidieren. Dabei sind auch dort die Frauen nicht mit dem Wahlrecht ausgestattet. Und neuerdings ist bei uns in Preußen die Mitgliedschaft von Frauen in politischen Parteien und Vereinen erlaubt.«
    Um einen Blick auf den auffällig arrogant klingenden Sprecher zu erhaschen, spickte Demy an dem dunkelbraunen Samtvorhang vorbei, der die Fensternische umrahmte und oberhalb dieser kunstvoll gerafft war. Der Mann war etwas älter als die Umstehenden und schien gut informiert zu sein, doch die überhebliche Stimme, mit der er die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen und Bestrebungen der Länder und ihrer darin lebenden

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