Himmel ueber fremdem Land
dass ihr Vater über die anstehende Verlobung informiert, ja formell sogar um seine Zustimmung angefragt werden würde, war ihr bisher nicht gekommen. Er hatte Demy ohnehin nicht ziehen lassen wollen und Tilla wegen der falschen Altersangabe erhebliche Schwierigkeiten bereitet.
»Diesen Briefverkehr brauchen Sie nicht auch noch zu übernehmen, Herr Vater. Ich unterrichte meinen Vater über die für ihn sicherlich erfreuliche Entwicklung«, versuchte sie die Situation zu retten.
»Das soll mir recht sein. Und nun möchte ich euch beide nicht länger aufhalten. Die ersten Gäste werden demnächst erwartet.«
Tilla konnte es kaum erwarten, den Raum zu verlassen. Dennoch wartete sie ungeduldig, bis Joseph ihr die Tür öffnete, ehe sie aus dem Arbeitszimmer floh, das ihr wie die Höhle eines Löwen erschien.
Ob sie am besten sofort mit Demy das Gespräch suchte? Tilla schob diese Überlegung von sich, denn Demy war an diesem Abend ohnehin sehr aufgeregt, da sie Tilla zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit bei einem offiziellen Anlass zur Seite stehen sollte und sich damit überfordert fühlte. Zudem fürchtete Tilla den Augenblick, in dem sie Demy offenbaren musste, dass ihre eigene Schwester sie an einen Meindorff verschachert hatte.
***
Der Mann, vor dem Demy knickste, trug eine braune Baumwollhose, ein nachlässig in den Bund gestopftes Hemd voller Rußflecken und eine Mütze, deren Schirm halb abgerissen war. Sogar in seinem Gesicht fand sich eine Schmutzspur. Seine Begleiterin war mit einem ebenfalls zerrissenen Baumwollrock bekleidet, während ihre grauenhaft bunte Bluse offensichtlich schlampig zusammengenäht war. Auf ihrem Kopf saß ein mickriges Hütchen mit ein paar albernen Kunstblüten und an ihren Arm rasselten bei jeder Bewegung mehrere billige Schmuckreifen. Allerdings blitzte das modische Fußband, unter dem zerfetzten Rock gut sichtbar, golden auf. Demy glaubte sogar darin eingearbeitete Rubine auszumachen.
Kopfschüttelnd über diesen Aufzug wandte sich das Mädchen dem großen Foyer zu. Fröhliches Lachen und laute Stimmen erfüllten den festlich dekorierten hohen Raum, während im Hintergrund die eigens engagierten Musikanten die erste flotte Melodie zu spielen begannen. Das Klirren aneinanderstoßender Champagnerkelche und die erfreuten Ausrufe beim Anblick des reichhaltigen Büfetts zeugten von der Begeisterung der Gäste über diesen gelungenen Themenball.
Tilla kam in einer erbärmlichen Verkleidung auf Demy zu. Die von ihr gewählte Garderobe stellte noch deutlicher heraus, wie dünn und blass ihre Schwester aussah. Die Ringe unter ihren traurig blickenden Augen hatte Demy ihr, wie Henriette es ihr beigebracht hatte, sorgfältig überpudert.
»Demy, du hattest unrecht. Sieh nur, die anderen Gäste tragen zerrissene Kleidung und kräftig aufgetragenen Schmutz an sich.«
»Die Menschen in den Straßen Berlins mögen arm sein, Tilla, sie sind aber dennoch nicht gänzlich verwahrlost. Die meisten von ihnen geben sich große Mühe, ihre Kleidung sauber zu halten, und waschen sich, selbst wenn sie einen Waschraum mit vierzig oder mehr Personen teilen. Es ist geschmacklos genug, oder vielleicht auch lächerlich, dass der Geldadel einen Ball feiert, bei dem man sich als arme Mitbürger verkleidet. Aber deswegen müssen die Leute nicht …«
»Demy, bitte. Ich habe Kopfschmerzen und ich bin müde. Erzähl mir morgen, was dir an dem Fest nicht gefallen hat, das Josephs Freunde zu Ehren unserer Rückkehr ausrichten.«
»Du gehörst ins Bett und hast ein paar Tage Schlaf nötig, nicht diesen Ball. Hat dein Mann dich über die Pyramiden von Gizeh gejagt und dich den Mississippi hinunterschwimmen lassen?«
»So etwa.« Mit zusammengekniffenem Mund schaute Tilla sie tadelnd an, ehe sie ihr den Rücken zudrehte und sie bat, die Nähte ihrer Bluse zu überprüfen, da sie den Eindruck hatte, diese lösten sich auf.
»Nein, mit den Nähten ist alles in Ordnung. Die Bluse ist nur viel zu weit für dich. Du bist schrecklich mager geworden. Hast du das Essen im Ausland nicht vertragen?«
»Aber natürlich.«
Demy rümpfte ihre Nase. Sie hatte sich auf die Rückkehr ihrer Schwester gefreut und erwartete begierig ihre Berichte über die Länder, Städte und Menschen, die sie und ihr Mann auf der mehrwöchigen Reise kennengelernt hatten. Tilla jedoch sah nicht nur schlecht aus, sie schien sich auch so zu fühlen und zog sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf ihr Zimmer zurück und wollte ungestört
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