Himmel ueber fremdem Land
machst dich jetzt sofort auf den Weg zurück in deine Offiziersschule!«
»Nicht so laut, Schwesterherz.« Wie meist zum Herumalbern aufgelegt, beugte Hannes sich nach vorn und spähte zwischen den Zweigen hindurch zum Haus, ob dort alles ruhig blieb.
»Zuerst muss ich dich um einen ganz großen Gefallen bitten«, flüsterte er dann.
Bei diesen Worten wurde sein Gesicht schlagartig ernst, was Demy dazu brachte, einmal wieder besorgt die Nase zu rümpfen. Ihre Vermutung, er habe Kummer mit seiner Edith, war wohl kaum aus der Luft gegriffen. Nicht, nachdem es diese zu ihrer beider Leidwesen viel diskutierte Verlobungsneuigkeiten zwischen dem Hause Meindorff und einer weiteren van Campen-Tochter gegeben hatte.
»Was ist passiert?« Ihr beunruhigter Ausruf erstickte zur Hälfte hinter Hannes’ Hand, die er kräftig auf ihren Mund presste. Dabei zischte er warnend und warf einen zweiten nervösen Blick zum Haus hinüber, in dem nur noch ein paar wenige Fenster erhellt waren.
»Edith ist mächtig böse auf mich. Sie will mich nicht mehr treffen.«
Demys Augen über seiner Hand wurden groß und rund. Augenblicklich war ihr klar, dass sie nicht nur Hannes zu bemitleiden hatte, sondern dass diese Veränderung in Ediths Gesinnung auch sie in erhebliche Bedrängnis brachte. Sollte Hannes Edith verlieren, gab es für ihn keinen Anlass mehr, gegen die Pläne seiner Familie zu rebellieren.
Demy atmete tief durch, nachdem Hannes seine Hand von ihren Lippen genommen hatte.
»Sie hat diese vermaledeite Verlobungsanzeige in den Zeitungen gesehen und die noch unglücklichere ›Jüngerer-Bruder-und-jüngere-Schwester-heiraten-ebenfalls‹-Berichterstattung. Jetzt nimmt sie an, du liebst mich tatsächlich und stehst ihr im Wege. Außerdem …« Hannes runzelte die Stirn. Tief empfundener Schmerz sprach aus jeder Faser seines Körpers. »Außerdem hegt sie den Verdacht, ich könne mich nicht gegen meinen Vater durchsetzen, wenn es hart auf hart kommt.«
Diese Angst fand Demy nicht unbegründet, zumal die junge Dame den aufgebrachten Herrn Meindorff ja bei dem Lumpenfest kennengelernt hatte.
»Ich spreche nochmals mit meinem Vater. Es muss einen Weg für Edith und mich geben. Notfalls versuche ich, deine Schwester und meinen Bruder zu überzeugen und sie mit ins Boot zu ziehen.« Kämpferisch warf ihr Gesprächspartner den Kopf zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dennoch glaubte Demy, Unsicherheit und Schmerz in seinem Blick zu erkennen. Offenbar fühlte er sich bei Weitem nicht so sicher, wie er sich ihr gegenüber gab. Und das zu Recht.
Konnte Hannes tatsächlich mit der Hilfe seines Bruders rechnen? Bei der Erinnerung an den kurzen Augenblick, als sie an der offen stehenden Tür von Julia Romeike vorbeigekommen war, schauderte sie. Die Leidenschaft, mit der Joseph, sonst immer so berechnend und kühl, die blonde Frau an sich gepresst und ihren Hals geküsst hatte, erschreckte sie aufs Neue und übertraf sogar ihre Erleichterung darüber, dass er sie nicht gesehen hatte.
Spielten für ihn Gefühle keine Rolle? Fand er bei Julia etwas, was ihm Tilla nicht geben konnte … oder wollte? Oder machten das am Ende alle Männer so? Gehörten denn Sexualität und Liebe nicht zusammen?
Benommen blickte das Mädchen auf ihre Hände hinunter. War es bei ihren Eltern ebenso gewesen? Sie wusste nicht mehr sehr viel über ihre Mutter, hatte sie aber glücklich in Erinnerung. Tilla hingegen …
Demy hob ruckartig den Kopf. Wusste Tilla von dieser Julia? Hatte er ihr in ihren Flitterwochen seine Affäre bekannt oder ihr sogar rüpelhaft mitgeteilt, er sehe keine Veranlassung, sie nach seiner Eheschließung zu beenden?
Jedenfalls wusste Demy jetzt auch, warum er auf der Hochzeitsfeier so fahrig und unwirsch geworden war, kaum dass Rathenau mit seiner Begleiterin den Raum betreten hatte. Vielleicht war ihr Auftauchen bei dieser Festlichkeit Julias perfide Rache an einem Mann gewesen, der sie benutzt und anschließend im Stich gelassen hatte?
»Demy?« Der Kadett riss sie aus ihren düsteren Überlegungen zurück in die für das Mädchen nicht unbedingt einfachere Gegenwart. »Edith hat mir einen schrecklichen Brief geschrieben. Sie schrieb darin, sie wolle mich vergessen. Sie möchte weder meiner Karriere im Weg stehen noch einen Keil in unsere Familie treiben. Sie meinte, sie fände in so einer angesehenen Familie vermutlich niemals ihr Glück, weil sie einfach nicht dazugehöre, und sie wolle keiner anderen, geeigneteren
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