Himmel ueber fremdem Land
Rathenau in Begleitung einer blond gelockten Schönheit erschien, die ihnen als Julia Romeike vorgestellt wurde. Die Anwesenheit des AEG-Erben stellte für das Haus Meindorff eine unerwartete Ehre dar.
Als Philippe an der Reihe war, Rathenau willkommen zu heißen, grüßte der frühere Gardekürassier 6 zackig und schüttelte ihm dann zu seiner Überraschung fast kameradschaftlich die Hand. »Wie steht es um die Truppen in Deutsch-Südwest, Herr Leutnant?«
Philippe knirschte mit den Zähnen. Rathenau hatte zwei Inspektionsreisen nach Afrika unternommen, um dem Reichstag daraufhin Vorschläge für die künftige deutsche Kolonialpolitik zu unterbreiten, und auf einer dieser Reisen waren sie sich bei Gouverneur von Schuckmann in Windhuk begegnet. Aus irgendeinem Grund musste er dem Mann in Erinnerung geblieben sein.
»Bestens«, erwiderte Philippe oberflächlich und hoffte, Rathenau würde nicht detaillierter nachfragen. Dass er bezüglich der Lage in der Kolonie einen anderen Standpunkt vertrat als die hochrangigen Militärs oder die deutsche Regierungsspitze, passte zu seinem Ruf als Unruhestifter, sollte an diesem Abend jedoch nicht unbedingt Gesprächsthema werden. »Sie verkehren mit Oberstleutnant von Estorff und Gouverneur von Schuckmann persönlich?«
»Gelegentlich. Zuletzt habe ich sie vor knapp zwölf Wochen gesehen, bevor ich meinen Urlaub antrat.«
»Den Sie sich ohne Frage verdient haben.« Rathenau lächelte und strich mit der Rechten über die Spitzen seines Schnurrbartes.
Einige Schritte entfernt von ihnen entstand Unruhe. Jemand lachte verhalten, während im Hintergrund mehrere Frauen aufgebracht zu tuscheln begannen. Philippe und Rathenau wandten sich ebenfalls dem Tumult zu.
Mit hochrotem Gesicht erhob sich Demy und entschuldigte sich mehrmals bei Rathenaus Begleiterin. Offenbar war sie bei ihrem Versuch, die Dame mit einem Knicks zu begrüßen, ausgeglitten und gestürzt.
Philippe lachte trocken auf, was ihm erneut die Aufmerksamkeit Rathenaus einbrachte. »Wer ist diese amüsante, kleine Person, Herr Leutnant?«
»Die Halbschwester der Braut, Demy van Campen.«
»Vielleicht ist es von Vorteil, sich an diesem Abend in ihrer Nähe aufzuhalten.«
Philippe verbeugte sich, als Rathenau ihn verließ, um weitere Gäste der Meindorffs zu begrüßen, und hob dann leicht irritiert die linke Augenbraue. Musste er Rathenau so verstehen, dass er sich die beste Unterhaltung in der Nähe des kleinen Wildfangs versprach, den Josephs frisch Angetraute ihnen ins Haus geschummelt hatte? Dieser Industrielle, der für seine künstlerische Ader ebenso bekannt war wie für seine Geschäftstüchtigkeit und seit Neuestem auch seine politischen Ambitionen auslebte, fand Gefallen an der kleinen Kratzbürste? Oder war dies vielmehr ein dezenter Hinweis an Philippe gewesen, ein wachsames Auge auf das ungeschickte Kind zu halten? Diese Aufforderung benötigte Philippe jedoch nicht.
Während des nächtlichen Balls hielt er sich stets in Demys Nähe auf, die sich zwischen den Reichen und Schönen Berlins sichtlich unbehaglich fühlte und für so manchen amüsanten Fauxpas sorgte. Er verspürte fast ein bisschen Mitleid mit dem jungen Ding, das gezwungen war, sich in einer Welt zu bewegen, auf die es scheinbar nicht vorbereitet worden war. Ohnehin fragte er sich, ob die Kleine wusste, dass sie in ihrer Rolle als Gesellschafterin einem einsamen Leben entgegensah. Demy würde ab diesem Tag weder zu den Bediensteten noch zur Familie zählen, und ein gestrenger, in Traditionen verhafteter Hausherr wie Rittmeister Meindorff würde mit Sicherheit darauf bestehen, dass sie Vertraulichkeiten zu beiden Seiten unterließ. Doch vielleicht würde die familiäre Verbindung zu einer der Herrschaften sie vor der Vereinsamung retten, unter der Gouvernanten und Gesellschafterinnen gemeinhin litten.
Erstaunt beobachtete Philippe, dass Demy Rathenaus attraktive Begleiterin kaum aus den Augen ließ und auch diese dem Mädchen hin und wieder ein vergnügtes Lächeln schenkte. Noch mehr verwunderte ihn aber die offensichtlich miserable Laune seines älteren Ziehbruders.
Der Bräutigam hatte im Laufe des vergnüglichen Abends anscheinend jegliche Freude an seinem eigenen Hochzeitsfest verloren. Missmutig starrte er vor sich hin, ließ sich nur widerwillig von Tilla zu ein paar Tänzen überreden, obwohl das engagierte Ensemble wunderbar und abwechslungsreich musizierte, und sprach dem Alkohol mehr zu, als es gut für ihn war.
Philippe
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