Himmel ueber fremdem Land
die Häuser immer näher zusammenzurücken, als wollten sie sie erdrücken. In jeder dunklen Nische wähnte sie eine Gefahr.
Aus einer Kneipe erklangen Musik und rohes Gelächter. Zwei Frauen in modischen Kleidern standen rauchend vor dem Eingang, was Demy veranlasste, zügig auf die andere Straßenseite zu wechseln. Zu ihrem Leidwesen war die Straße zu schmal, als dass sie dem orangefarbenen Lichtschein oder den misstrauischen Blicken der Leute unter der Tür entgehen konnte.
»Hey, da ist ein hübsches Püppchen. Komm doch rüber!«
Demy floh vor der feixenden Männerstimme. Mit ihrer linken Hand hob sie den Saum ihres Kleides und des Mantels an und stürmte zwischen den Häuserfronten entlang, die ihre schnellen Schritte in einem verwirrenden Echo wiedergaben. Unbelästigt entkam sie, verfolgt nur von dem schrillen Lachen der Frauen.
Nach einem ihr unendlich lang erscheinenden Fußmarsch bog sie endlich in eine deutlich breitere Straße ein, die von gepflegten, dreistöckigen Häusern gesäumt wurde. Rußende Straßenlampen warfen in regelmäßigen Abständen ihren flackernden Schein auf die Umgebung, und erleichtert mäßigte Demy ihr Tempo. Die Straße wurde weiter und lichter, und dasselbe geschah in ihrem Herzen, das sich zuvor vor lauter Angst wie zusammengeschnürt angefühlt hatte.
Hoffnungsfroh schaute sie nach vorn, in Richtung Kreuzung. Sobald sie das Stadtschloss erreicht und die Schlossbrücke über die Spree in Richtung der Straße mit den Linden überquert hatte, durfte sie sich sicherer fühlen.
Demy passierte einen im Dunkeln liegenden Durchgang zwischen zwei Häusern. Eine Bewegung, verbunden mit einem Scharren, ließ sie ruckartig den Kopf drehen. Verbarg sich jemand unter dem Torbogen?
Aufgeschreckt raffte sie erneut ihren Rock und wollte die Flucht ergreifen. In diesem Moment packten sie zwei kräftige Hände an den Unterschenkeln und zerrten an ihr.
Kapitel 9
Magdeburg, Deutsches Reich,
März 1908
Philippes Kopf ruckte unsanft zur Seite, als eine geballte Faust ihn mit Wucht seitlich an der Schläfe traf. Philippe klammerte sich überrumpelt und sichtlich benommen an seinen Sitz, ohne eine Möglichkeit, den zwei nachfolgenden Schlägen auszuweichen oder sich zur Wehr zu setzen.
Der wütende Ruf, den Hannes ausstieß, interessierte die Gestalt in dem dunklen Mantel und mit der über den Kopf gezogenen Kapuze offenbar nicht.
Zornig ballte Hannes die Hände zu Fäusten und stürmte die Stufen hinunter in den Lichtschein der Straßenlaterne, um seinem Freund beizustehen. Inzwischen hatte Philippe sich so weit von dem überraschenden Angriff erholt, um zu reagieren. Geschickt wehrte er einen vierten Schlag ab, packte den Angreifer am Arm und zog ihn unsanft über die Tür des Automobils hinweg zu sich. Mit einer schnellen Bewegung rammte er ihm den Ellenbogen mit so viel Wucht in den Rücken, dass Hannes sich fast wunderte, keine Knochen splittern zu hören.
Philippe stieß den Mann von sich, und Hannes sprang nach hinten weg, da dieser sonst gegen ihn getaumelt wäre. Breitbeinig stand er da, bereit, sich ebenfalls in das Kampfgeschehen zu werfen. Allerdings zog der Fremde es vor, unerkannt zu bleiben und ergriff, wenn auch leicht gebeugt vor Schmerz, die Flucht.
Mit einem Satz sprang Philippe über die geschlossene Tür aus dem Fahrzeug und wollte seinem Angreifer nachsetzen, musste sich dann aber mit einer Hand am Automobil, mit der anderen an Hannes’ Schulter festhalten. Erschrocken über den desolaten Zustand seines Freundes blieb Hannes ebenfalls zurück und ließ den Unbekannten entkommen.
Es dauerte mehrere Sekunden, bevor der Leutnant ihn losließ.
»Geht es wieder?« Besorgt musterte Hannes den deutlich größeren Philippe, der mehrmals blinzelte, als könne er nicht klar sehen. Daraufhin öffnete der Kadett die Wagentür und bugsierte seinen Freund zurück auf den Autositz. Er legte den Dekompressionshebel um, kurbelte seinen Daimler an und ließ sich dann auf den Sitz hinter das Steuer fallen.
»Hat wohl keinen Sinn, den Kerl zu suchen?«
»Wohl kaum«, erwiderte Philippe knapp und drückte eine Hand gegen seine malträtierte Schläfe.
»Soll ich bei Edith klingeln und nach Eis fragen?«
»Blödsinn. Sehen wir zu, dass wir wegkommen.«
Die Ablehnung seines Vorschlags brachte Hannes um eine neuerliche Begegnung mit Edith. Doch er löste die Bremse, steuerte den Wagen die Straße entlang, überquerte an einer Brücke die Elbe und fuhr zurück in Richtung
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