Himmel ueber fremdem Land
Jahren besitzen sie Hunderte von Flugzeugen und eine eigene Fliegertruppe. Aber unser Generalstab ist fest in der Hand der Luftschiffer. Keine Chance also, dass sich dort etwas bewegt. Einzig der für das Luftschiffwesen zuständige Angestellte des Kriegsministeriums, Hauptmann Hermann von der Lieth-Thomsen, hält den Standpunkt des Militärs, auf dem Gebiet der Flugtechnik in einer Zuschauerrolle zu verharren, für bedenklich.«
»Frankreich beobachtet unsere militärischen Entwicklungen mit Misstrauen«, gab Hannes zu bedenken, der sich einmal mehr über Philippes detailliertes Wissen wunderte. Offenbar hatte er sich schon länger mit dem Thema Flugzeuge beschäftigt. »Wie würden sie reagieren, sollte das Deutsche Reich ebenfalls Flugzeuge bauen, und zwar aus der Strafsteuer, die die Franzosen seit dem Krieg achtzehnsiebzig 9 an uns zahlen? Soweit ich weiß, wird ein nicht unerheblicher Teil dieser fünf Milliarden Goldfrancs ohnehin für den militärischen Aufbau ausgegeben.« Hannes sah auf seine Worte hin ein Grinsen über das Gesicht seines leidenschaftlichen Gesprächspartners huschen.
»Vielleicht kann von der Lieth-Thomsen die Zuständigen des Militärkabinetts mit der Nachricht aufrütteln, dass sowohl England als auch unser Erzfeind Frankreich inzwischen bei privaten Flugzeugherstellern Maschinen für ihre Armee bestellen.«
»Du scheinst vollkommen begeistert von diesem Dreidecker zu sein.«
Philippe lachte auf und rieb sich seine kalten Hände. »Grade wird seinen Weg gehen. Hast du den Motor gesehen, ein 36 PS starker Sechszylinder mit …«
Nachdem sich Hannes über einen langen Zeitraum hinweg die Ausführungen seines Freundes angehört hatte, ohne viel zu der Unterhaltung beizutragen, übermannte ihn gefährliche Müdigkeit. Er hatte in der vergangenen Nacht kaum mehr als zwei Stunden geschlafen, und dieser Schlafmangel machte sich nun unangenehm bemerkbar. Letztendlich fuhr er an den rechten Straßenrand und hielt den Daimler an.
»Müde?« Philippe hatte bereits die Hand am Türgriff, während er seine Frage stellte.
»Du hast mich ja nicht schlafen lassen.«
»Falsch. Ich habe dich nur frühzeitig geweckt. Das Schlafdefizit geht auf Kosten des Brautpaares, das sich jetzt auf einem Schiff in romantischer Zweisamkeit befindet und in diesem Augenblick vermutlich den Sternenhimmel bewundert.«
»Sei es, wie es sei. Ich fahre demnächst in den Graben.«
»Dann lass uns die Plätze tauschen.«
»Hast du eine Fahrerlaubnis?«
»Aber natürlich.«
»Für Windhuk und Umgebung?«
»Das Reichsgesetz hinsichtlich des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen wird erst im nächsten Jahr rechtskräftig, bis dahin ist die Regelung über eine Fahrerlaubnis weiterhin angenehm schwammig. Außerdem würde ich die momentan geplanten Prüfungsanforderungen problemlos bestehen, da ich ein paar Hundert Meter fahren kann, ohne einen Baum zu treffen und auch die Antwort auf die Frage weiß, was ich bei nächtlichen Fahrten zu beachten habe.«
Mit diesen Worten stieg er aus und klopfte gegen die rechte Karbidlampe. Tatsächlich war dies die einzige zu beantwortende theoretische Prüfungsfrage bei Hannes’ Prüfung gewesen. Erneut überraschte es ihn, über wie viel Wissen Philippe verfügte, obwohl er sich seit Jahren in dem fernen, wilden Afrika aufhielt. Über seine Kenntnisse bezüglich der amerikanischen, britischen oder französischen Militärangelegenheiten wunderte Hannes sich schon geraume Zeit nicht mehr. Philippe schien faktisch überall jemanden zu kennen und dessen Kontakte zu den jeweiligen Regierungen weidlich auszunutzen. Vermutlich würde er einen vorzüglichen Spion für das Deutsche Kaiserreich abgeben!
»Besser du bringst uns ohne Fahrerlaubnis sicher nach Berlin, als dass ich den Wagen in den Graben setze«, gab Hannes nach und wechselte mit Philippe den Platz.
Nun, da Philippe fuhr, war Hannes’ Müdigkeit wie weggeblasen. In Gedanken ging er den Tag nochmals durch und blieb bei einer molligen jungen Frau mit Namen Edith hängen.
»Edith ist nett, nicht?«, fragte er mit geschlossenen Augen.
Philippe brummte etwas, das er weder als Zustimmung noch als Ablehnung wertete.
»Na, vermutlich kannst du das gar nicht beurteilen, da du Frauen schneller verführst, als du die jeweilige Vorgängerin loswirst.«
»Wenn du meinst.«
Hannes öffnete ein Auge, um seinen Chauffeur anzusehen, doch sie fuhren soeben durch ein lang gezogenes Waldstück, und das fehlende Licht des Himmelstrabanten ließ sein
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