Himmel ueber fremdem Land
Wesen allein im Schmutz dieser Gasse geendet hätte, packte Demy die Wut.
Wie hartherzig, selbstsüchtig und grausam war diese Frau?
Neben allem Zorn wurde Demy schnell klar, dass sie ein Problem hatte. Und das wand sich in ihren Händen, wimmerte und zitterte vor Hunger und Kälte.
So wie sie es noch von Feddo in Erinnerung hatte, aber dennoch schrecklich unbeholfen, legte sie das Kind vorsichtig auf ihren linken Arm, schlüpfte aus ihrem Mantel, tat dasselbe auf der anderen Seite und wickelte das Kind in das warme Kleidungsstück ein, bis nur noch die Augen, die Nase und der Mund des Neugeborenen zu sehen waren. Mit dem Bündel im Arm trat sie auf die beleuchtete Straße beim Schloss.
Prüfend warf sie einen Blick auf das Gesicht des Säuglings, wobei ihr beim Anblick der geröteten Haut und des klitzekleinen Näschens die Tränen kamen. Was für ein Wunder so ein kleines Menschenkind doch war! Wie konnte man es einfach zurücklassen? Die Mutter hatte ihrem Kind ja nicht einmal einen Blick gegönnt.
Demy war unendlich dankbar, dass sie zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen war, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie nun mit ihrem Findling tun sollte.
***
Vor dem Haus der Meindorffs angekommen stieg Demy unbeholfen aus und bat den Taxifahrer, mit hineinzukommen. Sie besaß kein Geld, um den Mann zu entlohnen und hoffte, dass ihr jemand das Fahrgeld vorschießen würde.
Grummelnd folgte ihr der Chauffeur über die ausladende Treppe bis zur Tür und wartete neben ihr, als sie an der Glocke zog. Das Neugeborene, das im Automobil eingeschlafen war, begann sich zu rühren und stieß merkwürdige Laute aus, die ein Lächeln auf das Gesicht des Mädchens zauberten.
»Was haben Sie da eigentlich? Junge Katzen?«, wollte der Fahrer wissen.
»Nein, ein Kind.«
»Ein … sind Sie dafür nicht etwas zu jung?«
»Es ist nicht meines!«, erwiderte Demy erschrocken und hob erleichtert den Kopf, als der rechte Türflügel aufschwang. Ein Lichtschein aus dem kleinen Foyer fiel auf sie und ihren Chauffeur – und auf das erst fragende, dann entsetzte Gesicht des britischen Butlers Charles Sethwick.
»Fräulein van Campen? Wurden Sie überfallen? Sollen wir einen Arzt rufen?«
»Nein, Herr Sethwick, aber nein. Mir geht es gut. Ob Sie wohl bitte den Chauffeur für mich bezahlen könnten? Ich gebe Ihnen das Geld später wieder.«
»Was ist hier los? Wo warst du zu dieser späten Stunde?«
Demy schrak bei den herrischen Worten Meindorffs zurück. Ihre Hoffnung, sie könne ungesehen in den Dienstbotentrakt gelangen, zerschlug sich in diesem Augenblick.
Der Rittmeister trat näher, woraufhin Charles respektvoll zurückwich. Somit gelang es Demy nicht, sich hinter dem englischen Butler zu verstecken, was wünschenswert gewesen wäre, wie ihr ein Blick in das düstere Gesicht des Hausherrn verriet.
»Ist das deine Art, mit neuer Kleidung umzugehen? Wo kommst du überhaupt her? Und was willst du uns da ins Haus schleppen? Tollwütige Katzen?«
Erst jetzt wurde Demy sich ihres Aussehens bewusst. Ihren flotten Hut hatte sie verloren, der vornehme Mantel, den sie um das Baby geschlungen hatte, war ebenso mit Blut und Staub verschmutzt wie ihr Kleid. Außerdem signalisierte ihre schmerzende Wange ihr unbarmherzig, dass sie von ihrem Sturz gegen die Mauer mehr als nur eine unbedeutende Abschürfung davongetragen hatte.
»Keine Katzen, ein Kind. Und ich will endlich mein Geld!«, brachte der Taxifahrer sich in Erinnerung.
»Ein …?« Meindorff verschlug es die Sprache. Allerdings hatte er sich umgehend wieder im Griff, zog seine Geldbörse hervor und bezahlte den Chauffeur großzügig. Vermutlich war der Hausherr froh, einen möglichen Zeugen nachfolgender Auseinandersetzungen loszuwerden.
Demy zitterten die Knie, und das Kind in ihrem Arm begann erneut herzzerreißend zu weinen. Sie versuchte, sich davonzustehlen, und war bereits an den Stufen zum großen Foyer angelangt, als die beißende Stimme Meindorffs sie zum Halten zwang. »Wo in Gottes Namen hast du dich herumgetrieben, und woher stammt dieses Balg?«
»Ich war nur ein wenig spazieren, Herr Rittmeister. In einer Seitenstraße stieß ich auf eine Frau, die soeben niederkam. Direkt nach der Geburt verschwand sie und ließ das Kind zurück. Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte das Kind doch unmöglich sich selbst überlassen!«
»Genau das wäre die richtige Alternative gewesen!«, donnerten die wütenden Worte des Mannes auf sie herunter, der
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