Himmel ueber fremdem Land
süßlicher Schmerz stieg in ihrem Inneren auf und wollte sich vehement Bahn brechen.
»Ich werde dafür Sorge tragen, dass du eine ausgezeichnete Ausbildung bekommst. Frau Cronberg wird dich mit den hier in Berlin herrschenden Regeln vertraut machen, deine Umgangsformen schleifen und dich zu der reifen und verantwortungsbewussten Dame formen, die du an der Seite deiner Schwester darzustellen hast. Ich überlasse die endgültige Entscheidung ihr, in welchen Bereichen du zusätzlich gefördert wirst. Ich kann es mir nicht leisten, zum Gespött von Berlin zu werden, nur weil die Schwägerin meines Sohnes sich nicht ihrer Stellung angemessen zu benehmen weiß. Hoffen wir, dass du gelehrig bist und wir einen Großteil deiner Ausbildung abgeschlossen haben, bis die Dame des Hauses deine Unterstützung braucht.«
Demy lauschte dem Monolog vor Aufregung, Enttäuschung und unterdrücktem Zorn zitternd; immerhin gelang es ihr, gelegentlich zustimmend zu nicken. Sie empfand vor Meindorff einen gewaltigen Respekt. Nicht so sehr, weil er ein reicher, angesehener Mann war und aus einer traditionsreichen Familie stammte, sondern weil er so unmissverständlich aussprach, was er von ihr erwartete und davon ausging, dass man seinen Anweisungen widerspruchslos nachkam. Militärisch steif und sehr aufrecht saß er hinter seinem wuchtigen Schreibtisch, während seine Augen sie mit demselben stechenden Blick, den auch sein Sohn Joseph beherrschte, förmlich durchbohrten.
»Ich denke, wir haben uns verstanden!«
Ein weiteres Mal nickte Demy schweigend, obwohl dieser abschließende Satz keinesfalls als Frage an sie gerichtet war.
Daraufhin senkte Meindorff den Kopf und begann in irgendwelchen Unterlagen zu lesen, wobei sich auf seiner Stirn tiefe Querfalten bildeten. Entweder strengte ihn das Lesen an, weil die Lampe auf seinem Schreibtisch nicht ausreichend Licht spendete, oder aber der Inhalt des Dokumentes bereitete ihm Sorgen.
Als der Mann nach einigen Minuten den Kopf hob, schien er überrascht zu sein, dass Demy noch immer vor ihm saß.
»Du kannst gehen!«, murmelte er zerstreut und winkte sie mit einer Handbewegung fort wie eine lästige Fliege.
Demy gab sich alle Mühe, sich halbwegs würdevoll zu erheben und mit gemessenen Schritten den Raum zu verlassen. Ob sie sich auf den angesetzten Unterricht freuen sollte, da er Abwechslung in dem eintönigen Dasein in dem stillen Haus versprach, wusste sie noch nicht einzuordnen. Schließlich lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich die Hauslehrerin als schreckliche pedantische Frau entpuppen würde.
Zögernd blieb Demy im Foyer stehen, den Blick auf die Tür gerichtet, hinter der der Durchgang zum Nebentrakt lag. Wie gerne wäre sie hinübergelaufen, um zuzusehen, wie Maria den kleinen Nathanael versorgte, und sich gebührend von ihm zu verabschieden, ehe man ihn in das Heim brachte. Aber an diesem Abend wagte sie das nicht mehr. Zu viel hatte sie heute schon angestellt!
Traurig und mit dem Gefühl, wie ein Kanarienvogel mit gebrochenen Flügeln im Käfig zu hocken, betrat sie das Treppenhaus und stieg ungewohnt schwerfällig die Stufen in den ersten Stock hinauf. Die im Haus herrschende Stille empfand sie als beinahe beängstigend. Gab es zwischen diesen stabilen Mauern überhaupt so etwas wie Freude und Glück? Die Menschen in diesem schmucken Gebäude kamen ihr schrecklich freudlos und leblos vor. Wo blieb das Lachen, die fröhlich geführten Unterhaltungen, die gutmütigen Neckereien, die in ihrer Familie alltäglich gewesen waren? Kannten die Meindorffs so etwas denn nicht? War dies alles, was sie und Tilla hier erwartete: Regeln, Verbote, Stille?! Da war ihr ja fast noch der unverfrorene Philippe sympathischer. Aber nur fast!
Zum Glück gab es ja noch den aufmerksamen und lustigen Hannes – wenigstens mit ihm würde sie sich gut unterhalten. Allmählich beruhigte sich ihr aufgewühlter Gedankenstrom und sie betrat erschöpft ihr Zimmer.
***
Der nächste Morgen begann mit einem fröhlichen Pfeifkonzert der Vögel in der Gartenanlage. Ihr Gesang weckte Demy, die es sich für einen Moment gestattete, liegenzubleiben, auf das Gezwitscher zu hören, wenn ihr auch die vertrauten, heiseren Schreie der Möwen fehlten, und dabei dem leichten, zart roséfarbenen Vorhang zuzusehen, wie er gleich einem Segel vom Wind in ihr Zimmer hineingebläht wurde.
Seufzend erhob sie sich schließlich, verzog jedoch schmerzlich das Gesicht, als sie sich das Nachthemd über den
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