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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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problemlos im Dunklen verbergen ließ, dann waren es genau diese dunklen Flecken. Die Dunkelheit in seinem Schädel. Zumindest zu Anfang, bevor sie für jeden sichtbar würde. Denn um ehrlich zu sein, gab es eine ganze Menge, an das er sich nicht mehr erinnerte; beispielsweise an den Namen seiner beiden Schwestern, und das war natürlich kein gutes Zeichen. Ihm fiel alles Mögliche sonst ein, wenn es um sie ging, ihr albernes Lachen, ihr fliehendes Kinn und dass sie fast nie ein freundliches Wort für ihn gehabt hatten, aber wie sehr er sich auch anstrengte, er kam nicht darauf, wie sie hießen.
    Er wusste auch nicht so recht, was er eigentlich in diesem Restaurant zu suchen hatte, aber das hatte er ja wohl nie gewusst, oder? Leya und er hatten darüber auf dem Weg hierher gesprochen, und möglicherweise war es ja der Gönner himself – der also Leonard Vermin hieß, diese junge Dame mit den exzellenten Tischmanieren rechts von ihm hatte ihn über den Nachnamen informiert –, der alles so geheimnisvoll gestalten wollte. Es gab Zeichen, die darauf hindeuteten. Auf jeden Fall wäre es dumm, zu viel zu fragen, wie Milos Skrupka fand. Dumm, seine Lücken zu zeigen.
    Doch trotz aller Probleme im Schädel fühlte er sich nicht besonders beunruhigt. Nur schwindlig, wie gesagt, und dass es unter allen Umständen gute Gründe für ihn gab, sich in dieser Gesellschaft zurückzuhalten, das war ja offensichtlich. Wenn es etwas gab, womit alle hier am Tisch beschäftigt zu sein schienen, dann das: sich zurückzuhalten.
    Das Essen war übrigens ausgezeichnet. Ganz zu schweigen vom Wein. Milos war sich sicher, dass er nie in seinem Leben etwas so Wohlschmeckendes getrunken hatte. Es war, als würde ein völlig neuer Bereich auf seiner Zunge zum Leben erweckt, als er diese Goldtropfen in seiner Mundhöhle kreisen ließ. Er schickte einen Gedanken zu Leya, die sich ja schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite in einem Pub befand, die Ärmste, und er dachte, dass er irgendwann einmal – und hoffentlich ziemlich bald – in einen gut sortierten Weinladen gehen und eine Flasche für … was hatte dieser Leonard gesagt? Hundertfünfzig Pfund? … kaufen würde. Und dann … dann würden sie ganz wunderbar speisen und sie gemeinsam austrinken, Glas für Glas, Tropfen für Tropfen, und dann würde er … um ihre Hand anhalten?
    Ja, genau das. Ganz gleich, wie es sich mit diesem Verband auch verhielt, so musste es sein. So sah die Zukunft aus; hatte er ihr das nicht schon gesagt? Dass die Hauptsache an dieser Reise ganz und gar nicht diese merkwürdige Geburtstagsfeier war, sondern die Tatsache, dass sie sich wiedergetroffen hatten. Er und Leya. Leya und Milos. Wunderbar.
    Er trank einen Schluck Wein, schloss die Augen und dachte, dass er glücklich war.
    Gregorius Miller war verzweifelt.
    Mein Leben ist eine Wanderung auf einen Abgrund zu, dachte er. Und jetzt sind wir da.
    Jetzt bin ich angekommen.
    Nichts konnte ihn mehr retten. Er erinnerte sich nur vage an den Optimismus und die Hoffnung auf die Zukunft, die er bei der Ankunft in London in sich getragen hatte. Die Hoffnungen bezüglich der Feier und die ausgefeilten Pläne bezüglich eines Identitätswechsels.
    Paul F. Kerran?
    Inzwischen erschien das so weit weg – alberne Fantasiemonster unter Einfluss des Alkohols –, aber gleichzeitig wusste er ja, sollte er irgendwann in seinem Leben eine neue Identität benötigen, dann jetzt.
    Heute. An diesem Abend. In einer halben Stunde! Ja, in der besten aller Welten wäre er von seinem pupsvornehmen Stuhl aufgestanden, hätte das Lokal verlassen, hätte die Straße überquert und sich mit Hilfe seiner neuen Kreditkarte und seines neuen Passes ein Zimmer in einem Hotel genommen und hätte nie wieder zurück nach Hause fahren müssen und sich nie wieder kümmern müssen um …
    Er trug den Umschlag mit dem kurzen Fax noch in der Innentasche seiner Jacke. Dort lag er und brannte, direkt auf seinem Herzen, so fühlte es sich an, und er wünschte, er hätte es nie gelesen. Nie gesehen. Aber es hatte ein Stück hinter seiner Zimmertür auf dem rostroten Teppich gelegen, es war unmöglich gewesen, es zu übersehen.
    Er hatte nur zehn Minuten gehabt, um zu Irina und dem wartenden Wagen zurückzukehren, doch nach einer schnellen Wäsche, dem Deodorant und dem Hemdenwechsel hatte er trotz allem den Umschlag aufgerissen und die Mitteilung gelesen.
    Lieber Gregorius! Ich habe Eric alles erzählt, von dir und mir und dass ich ein Kind

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