Himmel über London
erwarte. Er ist verrückt geworden, du musst dich vor ihm in Acht nehmen, wenn du heimkommst. Ich habe Angst, ich liebe dich. Sylvia
Diese einfältige Kuh! Er konnte es einfach nicht glauben. Nicht, als er es gelesen hatte, und nicht jetzt, zwei Stunden später bei diesem hochvornehmen Essen.
Aber es stimmte, sie hatte alles erzählt! Was immer du willst, dachte er, was immer du willst, Stierrennen in Pamplona oder Bergsteigen in kurzen Hosen im Himalaja, aber man erzählt doch einem Eric Perhovens nicht die Wahrheit! Dem lebensgefährlichsten Mann auf der Welt.
Es hatte auch noch ein kleines PS gegeben: Ich habe versucht, dich über Handy zu erreichen, aber das ist mir nicht geglückt.
Das war typisch. Unerhört typisch; hätte er nur vorher mit ihr reden können, bevor sie diesen unglaublich idiotischen Beschluss gefasst hatte, dann hätte er sie natürlich zur Vernunft bringen können. Aber sein Handy war auf die Straße geknallt und kaputtgegangen, als er gestern Nachmittag mit Paula zusammengestoßen war. Und genau das, dieser verfluchte Zusammenstoß, war der Ursprung allen Elends. Er hatte zu diesem blöden Köter geführt, zu dem blöden Missverständnis und dazu, dass er morgen früh bei der Metropolitan Police vorstellig werden musste.
Aber im Vergleich zu dem, was diese dumme Kuh Sylvia angestellt hatte, war das nur ein Furz im Sturm.
Ich wünschte, der gestrige Tag hätte nie stattgefunden, dachte Gregorius und legte seine Serviette auf einen Weinfleck, den jemand neben seinem Teller produziert hatte. Hätte genau dieser siebenmal verfluchte Tag nie das Licht der Welt erblickt, dann wäre alles vollkommen anders. Er hätte keine Probleme, sich ein Treffen mit seinem Chef vorzustellen (seinem ehemaligen Chef , musste man wohl annehmen) – oder besser gesagt, er konnte sich diverse verschiedene Varianten dieses Treffens vorstellen, aber keine trug auch nur einen Funken von Hoffnung oder Licht in sich.
Am besten wird es sein, wenn er mich gleich totschlägt, dachte Gregorius.
Aber wahrscheinlich würde er das nicht tun. Er würde ihn stattdessen lieber langsam zu Tode quälen. Revenge is a dish best eaten cold – wenn Eric Perhovens einen Wahlspruch in seinem Leben hatte, dann sicher einen von dieser Qualität. Ihn zu feuern, das war zweifellos die erste Aktion und sicher bereits jetzt eine Tatsache. Dann würde er mit den Unregelmäßigkeiten in den Büchern zur Polizei gehen, seine Beziehungen ausnutzen, Sylvia die Geschichte erzählen, er würde es sicher fertigbringen, dass Gregorius an allem die Schuld tragen würde, etcetera, etcetera … um dann letztendlich, mittels all seiner Kontakte mit allen möglichen Rechtsverdrehern und Winkeladvokaten dafür zu sorgen, dass ihm eine lange Strafe aufgebrummt und er in eines der schlimmsten Gefängnisse geschickt wurde, die überhaupt existierten – wo er bei Wasser und Brot sitzen und langsam, aber sicher zu einem menschlichen Wrack verkommen würde, einem pathetischen Wrack und einem Schatten seiner selbst. Und die dumme Kuh Sylvia würde zweimal im Monat zu den Besuchszeiten mit ihrem rotznäsigen Balg im Schlepptau kommen, sie würde auf der anderen Seite des Gitters sitzen, schluchzen und jammern und ihm erzählen, wie sich ihr jämmerliches Leben dort draußen abspielte. Während Eric Perhovens ihm auf verschiedene Arten zu verstehen geben würde, dass die Strafe, Gregorius Millers wirkliche Strafe, erst an dem Tag auf ihn wartete, an dem sich für ihn die Tore öffneten.
Ja, ungefähr so sah die Zukunft aus, und das wohlschmeckende Essen und die hochgelobten Weine, die Leonard so gepriesen hatte, konnten daran auch nichts ändern.
Selbst die Hoffnung darauf, einen Teil von seinen Millionen abzukriegen, war verschwunden. Das wird sicher auch schiefgehen, dachte Gregorius Miller, dumm, etwas anderes zu erwarten. Das Leben ist ein Misthaufen, und ich stehe an seinem Rand, oder was habe ich vorhin noch gedacht?
Aber sollte er heute Nacht sterben, würde er diesem verfluchten Perhovens die lange Nase zeigen – und ihr auch, der jämmerlichen Ehebrecherin! –, und das war im Großen und Gan zen der freundlichste Gedanke, den er an einem Abend wie diesem hervorbringen konnte.
Und jetzt, was passierte jetzt? Ach so, jetzt räusperte sich das siebzigjährige Geburtstagskind. Gregorius leerte seufzend sein Glas. Der alte Kerl, dachte er, würde mich nicht wundern, wenn all seine Millionen in den Händen irgendwelcher bleichgesichtiger
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