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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nesser
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einen Schluck Tee und wählte die Nummer.
    Keine Antwort. Nur Milos Mitteilung, dass man nach dem Piepton gern eine Nachricht hinterlassen konnte.
    Sie drückte ihn weg. Was hatte das zu bedeuten?
    Nichts? Oder war das eine Bestätigung ihres Verdachts? Was für eines Verdachts?
    Sie trank noch einen Schluck und wählte eine andere Nummer.
    Auch hier keine Antwort. Nur Richards dunkle Stimme, die ungefähr das Gleiche mitteilte, wie Milos es getan hatte.
    Was bedeutete das also?
    Sie runzelte die Stirn und konzentrierte sich. Angenommen, dachte sie, angenommen, ein und dieselbe Person ist in Besitz beider Handys, die ich gerade versucht habe anzurufen.
    Weiter angenommen, dass diese Person Richard ist … nun ja, das war viel mehr als nur eine Annahme, das war ihr klar. Es konnte ja kaum eine andere Person in Frage kommen, die beide Handys in ihrem Besitz hatte. Oder?
    Mit anderen Worten: Angenommen, es war Richard, der Milos niedergeschlagen hatte, und schließlich und letztendlich angenommen, er steht im Begriff, einen weiteren Versuch zu unternehmen!
    Sie nickte sich entschlossen selbst zu. Ihr Gehirn funktionierte wieder, wie es sollte. Eine Kontrollfrage: Gab es irgendeinen Grund für Richard – wenn das skizzierte Szenarium denn zutraf –, auf ihre Anrufe zu antworten? Nur einen?
    Natürlich nicht, zu dem Ergebnis kam sie sehr schnell. In beiden Fällen wusste er, dass sie es war, die anrief, und in beiden Fällen hätte er sich durch seine Antwort verraten.
    Oder?
    Sie trank mehr Tee. Drängte die Panik beiseite, die langsam von ihr Besitz ergreifen wollte.
    Gesetzt den Fall, dass mein Verdacht falsch ist, fuhr sie stattdessen fort. Gesetzt den Fall, dass es tatsächlich eine Karen gibt. Warum reagiert sie dann nicht? Weder auf meinen Anruf noch auf meine SMS?
    Weil sie in der Badewanne liegt?
    Weil sie einkaufen ist und das gefundene Handy zu Hause in der Küche hat liegen lassen?
    Weil der Akku leer ist und sie kein Ladegerät hat?
    Weil sie das gefundene Handy ausgeschaltet hat? Sie weiß doch bereits, wo der Besitzer sich befindet, wo sie es abliefern und sich ihren Finderlohn abholen kann? Im Terracotta Restaurant am Paved Court in Richmond.
    Oder?, fragte sich Leya wortlos selbst noch einmal. Es gibt Unmengen von akzeptablen Antworten für beide Alternativen. Sowohl dafür, dass es Richard war, der hinter dem Überfall steckte – als auch dafür, dass ein anderer Milos den Schädel hatte einschlagen wollen. Es konnte sehr wohl eine vollkommen unschuldige Karen geben, die sich heute Vormittag zufällig in Bayswater befunden hatte und die ganz zufällig ganz hier in der Nähe wohnte … aber das Problem, entdeckte Leya plötzlich, das Problem war natürlich, wie immer die Situation auch sein mochte, welche Alternative immer auch die richtige war, dass es keinen Grund für den betreffenden Handyfinder gab, sie als Erstes zu kontaktieren.
    Oder? Wenn man wusste, dass Milos und der Finderlohn sich im Terracotta befanden – erneut warf sie einen Blick zu den nur schwach erleuchteten Fensterrechtecken dort drüben, es sah aus, als würde das Restaurant tatsächlich nur von Kerzenlicht erhellt –, so musste man ja nur dorthin gehen und die Sache erledigen. Karen oder Karen alias Richard Mulvany-Richards. Wobei im letzten Fall die Sache wahrscheinlich eine andere war. Eine ganz andere Sache.
    Warum war sie nicht früher auf ihn gekommen?, fragte sie sich jetzt mit gespaltenen Gefühlen aus Wut und Angst. Er hatte ihr am Vormittag eine interne Mitteilung an die Bank geschickt und sich für sein Auftreten vor dem Tate Modern entschuldigt. Hatte erklärt, dass er jetzt zurück in Edinburgh wäre und es ihm leidtäte, was vorgefallen war.
    Sie hatte ihm geglaubt, so einfach war das.
    Einfach? Nein, nichts war einfach. Als sie sich in diesem Pub niedergelassen hatte, hatte sie sich eingebildet, dass sie irgendwie die Kontrolle hätte, jetzt, nach zwei großen Tassen Tee mit Ingwer und Zitrone, begriff sie, dass dem absolut nicht so war.
    Irgendwo tickte eine Bombe. Eine Lunte war entzündet worden.
    Und sie hatte diese verwirrenden Doppelgedanken kaum zu Ende gedacht, als ihr Blick wieder aus dem Fenster wanderte und sich an eine ungewöhnlich große und ungewöhnlich kräftige Frau heftete, die draußen mit schnellem, entschlossenem Schritt den Bürgersteig entlanglief.
    Lieber Gott, dachte sie. Das sieht doch wohl nicht aus wie …? Das kann doch wohl nicht …?
    Sie sprang auf und lief aus dem Lokal.

70

    I

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