Himmel über London
– es war nur Milos, der Portwein trank, da Leya Alkohol in größeren Mengen nicht vertrug –, und er dachte, dass er sich nicht die Bohne nach New York zurücksehnte. Ganz und gar nicht.
Er hatte versucht, auch von seinem Leben zu berichten, aber obwohl er sein Bestes gab, nützte es nichts, es erschien einfach etwas dürftig – und dann hatten sie der Diskussion seines Aufenthalts in London viel Zeit gewidmet. Wer dieser Leonard V sein könnte. Und was das Ziel der Einladung wohl war. Leya fragte sich erneut, ob es sich nicht um einen alten Verwandten handeln könnte, und Milos versicherte ihr, dass er getan hatte, was er tun konnte, um diese Frage zu klären. Doch weder seine Schwestern noch Mr. Jan Kopper, der ja ein alter Freund der Familie war, hatten jemals von einem Leonard gehört. Wer möglicherweise Bescheid gewusst haben könnte, das war seine Mutter, aber die war ja vor fast einem Jahr verstorben.
Und plötzlich hatte er sich an das Gespräch erinnert, das nie zustande gekommen war. Als seine Mutter ihn auf ihrem Sterbelager zu sich gerufen hatte, um ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, und wie er dann zu spät gekommen war. Er hatte nie erfahren, was sie auf dem Herzen gehabt hatte. Als er das Leya erzählte, bekam sie wieder diese grüblerische Falte auf der Stirn.
»Sie wollte also nur mit dir sprechen?«
»Ja.«
»Nicht mit deinen Schwestern?«
»Nein, im Gegenteil, sie hat …«
»Ja?«
»Sie hat ausdrücklich betont, dass Marta und Helka nicht dabei sein sollten.«
»Und du bist zu spät gekommen?«
»Ja. Als ich im Krankenhaus ankam, war sie bereits tot.«
»Was glaubst du denn, was sie wollte?«
»Keine Ahnung.«
»So ein Mist!«
Milos fuhr zusammen. Leya fluchte sonst nie, zumindest hatte sie es früher nie getan, und er glaubte nicht, dass sie sich neue Gewohnheiten zugelegt hatte. Zumindest nicht in dieser Hinsicht.
»Entschuldige«, sagte sie, »aber kapierst du nicht?«
»Was?«, fragte Milos. »Was soll ich kapieren?«
Leya seufzte. »Dir ist nie der Gedanke gekommen, das könnte zusammenhängen?«
»Was denn? Was soll zusammenhängen?«
»Das, was deine Mutter dir erzählen wollte, und das hier natürlich. Dein Gönner und die Geburtstagsfeier.«
Milos dachte nach. Ihm wurde klar, dass er tatsächlich nie einen Zusammenhang gesehen hatte. Aber andererseits: warum hätte er auch?
»Ich höre mir an, was du sagst«, meinte er, »aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das zusammenhängt. Warum sollte es? Als ich den Brief erhalten habe, war meine Mutter schon mehr als ein halbes Jahr tot.«
Leya überlegte wieder. »Kann sein«, sagte sie. »Nein, vielleicht spricht gar nicht so viel dafür. Ich werde nur verrückt, wenn ich für Dinge keine Erklärung finde.«
»Doch, ja, daran erinnere ich mich«, erklärte Milos lachend. »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
Da musste sie auch lachen. Doch dann wurde sie wieder ernst. »Aber da ist etwas anderes, was mich noch beunruhigt. Es ist so ein Gefühl … ja, ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll. Etwas Bedrohliches vielleicht? Fühlst du das nicht auch?«
»Nein«, widersprach Milos. »Das fühle ich überhaupt nicht.«
Doch in dem Moment, als er es sagte, konnte er einen Hauch von etwas Dunklem, Beunruhigendem spüren, das durch sein Bewusstsein strich. Wie ein Schatten, es ging ganz schnell, und es verschwand fast augenblicklich, ließ aber dennoch etwas zurück. Etwas … Bitteres?
Er trank die letzten Tropfen seines Portweins, der alles andere als bitter war, und spürte plötzlich, wie müde er war.
»Mein Gott«, sagte er, »weißt du, Leya, ich kann kaum noch die Augen offen halten. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
Sie lächelte ihm zu. »So ist das, wenn man in dieser Richtung über den Atlantik fliegt. Man braucht ein paar Tage, um sich auf den Tagesrhythmus einzustellen. Weißt du was, ich komme mit dir runter auf die Straße, und da winken wir dir ein Taxi.«
Das taten sie. Doch bevor sie sich draußen auf der Ravenscourt Road trennten, verabredeten sie ein Treffen am folgenden Tag. Zuerst ein Lunch irgendwo in Kensington, in der Nähe von Leyas Bank. Dann wollte sie sich nachmittags frei nehmen und sein persönlicher Guide sein.
Sie hatten sich den ganzen Abend über kein einziges Mal geküsst, aber lange in den Arm genommen, bevor er ins Taxi stieg, und jetzt, acht Stunden später, meinte er immer noch diese Umarmung spüren zu können. Bevor er nach Ravenscourt gefahren
Weitere Kostenlose Bücher