Himmel über London
erfahren.«
Sie dachte nach, nickte dann. »Und es ist sicher, dass du mich nicht auf den Arm nimmst?«
»Natürlich tue ich das nicht. Warum sollte ich so etwas machen, wenn wir uns nach zehn Jahren das erste Mal wiedersehen? Aber vielleicht nimmt mich irgendjemand auf den Arm. Nein, jetzt lass uns damit aufhören. Erzähl mir lieber, wie es dir geht. Du bist sicher verheiratet und hast drei Kinder?«
Ein Hauch von Traurigkeit huschte über ihr Gesicht, zumindest interpretierte er es so. Doch dann lachte sie. »Nein, nein. Weder das eine noch das andere. Und du?«
Er schüttelte den Kopf. »Allein wie ein Himmelskörper. Aber ich begreife nicht, dass du es auch bist.«
»Es ist noch ziemlich frisch«, sagte sie. »Dass ich wieder Single bin, meine ich. Ich habe fünf Jahre lang mit einem Mann zusammengelebt. Richard. Im Frühling war damit Schluss.«
»Das tut mir leid«, sagte Milos. Was natürlich eine Lüge war, doch keine von der Art, die sie gern entlarvt hätte.
»Mir auch«, sagte sie. »Aber lassen wir das. Du bist also für vier Tage hier?«
»Stimmt«, nickte Milos. »Die Feier ist am Donnerstag. Das Flugzeug geht am Samstagmorgen. Vielleicht könnten wir …«
»Aber natürlich«, rief Leya aus. »Ich werde dir London zeigen. Können wir nicht damit anfangen, dass ich dich heute Abend zum Essen einlade? Bei mir zu Hause, meine ich. Wir haben ja jede Menge nachzuholen und zu bereden.«
Milos seufzte und dachte, dass er vermutlich tot war, aber aufgrund irgendeines Buchungsirrtums im Himmel gelandet war.
14
A m ersten Morgen im Hotel Rembrandt wachte er um halb fünf Uhr auf und konnte nicht wieder einschlafen. Er nahm an, dass es an dem Phänomen lag, das die Leute Jetlag nannten. Nach einer halben Stunde gab er auf, stieg unter die Dusche und kochte sich einen Kaffee mit der Maschine, die auf der Mi nibar stand. Setzte sich in den Sessel an dem Fenster, das bis zum Boden ging, und schaute auf die Vielmillionenstadt, über der der Ansatz eines Morgengrauens zu erahnen war. Es war eine andere Art von Stadt als New York, dachte er. Nicht so viele Hochhäuser, fast keine nennenswerte Skyline, zumindest nicht in der Richtung, in die das Fenster zeigte. Obwohl London mindestens tausend Jahre älter war, das hatte er im Flugzeug in einer Broschüre gelesen, während er den französischen Cognac genossen hatte. Ob ich hier leben könnte?, überlegte er. Warum nicht? Was hält mich eigentlich in New York? Kopper Car Splendid Service and Wash jedenfalls nicht.
Er dachte an den gestrigen Abend zurück. Konnte sich nicht daran erinnern, es jemals so schön gehabt zu haben. Leya hatte natürlich zu irgendetwas Asiatischem geladen, Krabben und kunterbuntes Gemüse in einem Topf, er erinnerte sich, dass er während ihrer gemeinsamen Zeit in New York häufig ihre Kochkünste genossen hatte. Sie tranken einige Gläser Wein und redeten über alte Zeiten. Auch über neue Zeiten natürlich, Leyas Familie war mehr oder weniger über die ganze Welt verteilt, aber sie selbst war nur ein einziges Mal wieder in den USA gewesen, seit sie über den Atlantik gezogen war. Als Milos sich etwas enttäuscht darüber wunderte, warum sie da nicht von sich hatte hören lassen, erklärte sie, dass sie damals nicht einmal einen Fuß auf New Yorks Straßen gesetzt hatte. Sie war über Chicago nach Los Angeles geflogen und hatte dort drei Wochen mit ihrer Mutter und der Familie ihres Bruders verbracht.
Sie behauptete, dass sie sich in London wohl fühle, zumindest hatte sie das bis zum Frühling, als es mit Richard vorbei war. Er arbeitete auch bei der Bank, aber inzwischen in Edinburgh; sie hatten sich vor sechs Jahren auf einer Party kennen gelernt, die einer ihrer Chefs veranstaltet hatte, als er in Pension ging.
Ich finde es fantastisch, dass du mit diesem Richard Schluss gemacht hast, hatte Milos gedacht. Er war wirklich nicht dein Typ.
Leya hatte nach der Trennung die Wohnung behalten, da der Mietvertrag auf ihren Namen lief. Sie lag draußen in Ravenscourt, Milos war mit der U-Bahn hinausgefahren, und wenn er sie mit seinem eigenen Verschlag in East Village verglich, war es der reine Luxus. Drei große Zimmer mit Küche, ein Balkon mit Blick auf einen Park. Was konnte man sich mehr wünschen? Auch geschmackvoll eingerichtet, genau wie sie es schon in New York gehabt hatte. Dunkel möbliert mit großen Farbtupfern, die hier und da aufblitzten. Nachdem sie die Mahlzeit beendet hatten, tranken sie Tee und ein Glas Portwein
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