Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
bleiben. Meinen Se, er könnt hier ’ne Anstellung bekommen? Fleißig is er, der Jung, da leg ich meine Hand für ins Feuer.«
»Da bin ich mir ganz sicher«, beruhigte Aglaia die aufgeregte Frau. »Mein Mann hat immer gesagt, der Max hat ein Händchen für die Tiere, besonders für die Pferde. Ich werde nachher gleich mit meinem Schwiegervater darüber sprechen.«
»Danke, Frau von Kaulitz, danke!« Aglaia hatte Minchen Basedow seit Wochen nicht mehr so strahlen sehen, und auch sie spürte das erste Mal seit Eberhards Tod wieder so etwas wie ein kleines Gefühl der Freude.
Ein paar Tage später übernahm Minchen Basedow das Regiment in der Birkenau’schen Küche, unter tatkräftiger Hilfe von Lenchen, und bald waren beide daraus nicht mehr wegzudenken. Auf Wunsch von Ferdinand kochte sie als Einstand Königsberger Klopse.
»Ich dachte immer, die von Hertha seien nicht zu übertreffen«, rief der begeistert, »aber ich muss gestehen, diese sind mindestens genauso gut, wenn nicht noch besser. Lasst diese Frau bloß nie wieder gehen!«
Die nächsten Jahre führten die Kaulitzens ein sehr zurückgezogenes Leben. Ihnen stand weder der Sinn danach, große Gesellschaften zu besuchen, noch welche zu geben. Auch als nach dem Tod des alten Baron Harvich Hanno und seine Frau Carla überstürzt aus Rom zurückkamen, um sich um das verwaiste Gut zu kümmern, nahmen sie an deren Begrüßungsempfang nicht teil. Lange Zeit veranstalteten sie keine Jagden, auch lehnten sie Einladungen dazu ab. Sie besuchten weder Hochzeiten noch Taufen. Bei Goelders war bereits im Jahr nach der Hochzeit der erste Junge angekommen und in Lindicken bei den Lackners inzwischen das fünfte Kind. Selbstverständlich gestattete man aber Alexander und Ellart nach dem Trauerjahr, wieder Einladungen anzunehmen. Sie waren jung und konnten und sollten nicht ewig trauern. Auch Ferdinand, dessen Ausflüge »in die große Welt«, wie er es nannte, immer seltener und kürzer wurden, nahm wieder am gesellschaftlichen Leben teil. Nur Aglaia, Elvira und Jesko stand der Sinn nicht nach lärmendem und ausgelassenem Feiern. Was aber nicht hieß, dass sie vereinsamten. Für Freunde stand bald ihre Tür wieder offen. Dank Minchen speiste man hervorragend, spielte Whist, Rommé oder Schach, und Ferdinand musizierte wie früher mit Ursula und Philine. Nur Aglaia sang nicht mehr. Ganz selten, wenn sie glaubte, niemand würde sie hören, spielte sie auf dem Klavier Eberhards Lieblingsstücke.
Gleich nach dem Tod ihres Vaters hatte sie einen Stern neben Tanyas, der am hellsten leuchtete, für ihn ausgesucht, und nun waren es drei, zu denen sie jeden Abend sprach. War der Himmel einmal bedeckt, zündete sie drei dicke weiße Kerzen an und hielt ihre Zwiesprache mit ihnen.
Der Kontakt zu Clemens war in all den Jahren nie abgebrochen. Kurz vor Eberhards Tod hatte er geschrieben, er plane eine längere Reise nach Übersee. Man möge sich nicht wundern, wenn er eine Weile nichts von sich hören ließe. Es verging mehr als ein Jahr, bis eine Karte von ihm eintraf. Sie war monatelang unterwegs gewesen.
»Dein Patenonkel macht sich ja wirklich ein schönes Leben«, sagte Jesko zu Alex, nachdem er die Karte vorgelesen und dann herumgereicht hatte. »Sag mal, Jungchen, willst du ihn nach deiner Matura nicht endlich einmal in England besuchen, bevor du bei den Ulanen eintrittst? Er hat dich nun schon so oft eingeladen. Was hältst du davon?«
»Ich weiß nicht so recht … Würdet ihr mich bitte jetzt entschuldigen, ich muss noch etwas für die Schule tun. Wir schreiben morgen eine wichtige Prüfung.« An der Tür hielt er noch einmal inne. »Ach Großvater, hättest du nachher einen Moment Zeit für mich? Ich würde gern etwas mit dir besprechen.«
»Selbstverständlich, mein Junge. Komm vor dem Abendessen zu mir in die Schreibstube. Sagen wir um sechs.«
»Weißt du, was er hat?«, fragte Aglaia Ellart, der teilnahmslos zugehört hatte.
»Keine Ahnung«, sagte der patzig. »Frag doch Franz. Mit mir teilt mein Bruder keine Geheimnisse.«
»Was ist denn das für ein Ton, und wie redest du überhaupt mit deiner Mutter?« Jesko war ärgerlich. Ellarts Art brachte ihn manchmal zur Weißglut. »Wie wäre es denn, wenn auch du etwas für die Schule tun würdest? Schaden könnte es sicher nicht!«
»Wenn du meinst, Großvater.« Mürrisch verließ auch er das Zimmer.
»Was soll bloß aus dem Jungen werden?«, polterte Jesko weiter. »Seine Noten sind saumäßig, und was ich so
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