Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
bereits nach fünf Wochen mit dem Sieg Preußens zu Ende. Täglich berichtete die Hartungsche Zeitung über die Schlachten und Siege Preußens, und Helmuth von Moltke wurde mit Lob überschüttet für seine überaus erfolgreiche Strategie.
»Seht ihr«, sagte dann Ferdinand, wenn er Elvira und Aglaia die Berichte vorgelesen hatte, »ihr macht euch unnötige Sorgen. Ihr werdet eure beiden Männer bald wieder wohlbehalten in die Arme schließen können. Einmal kam ein Brief von Jesko.
Königgrätz, 4 . Juli 1866
Ihr Lieben zuhause, nur kurz ein paar Zeilen. Eberhard und ich sind wohlauf, auch Basedow. Eberhard hat dafür gesorgt, dass der in seiner Einheit ist. Richtet doch seiner Frau Grüße von ihm aus. Gestern haben wir dem Feind den entscheidenden Schlag versetzt. Moltke glaubt, der Krieg kann nun nicht mehr lange dauern.
Alfred von Harvich ist gefallen. Ferdi, würdest du nach Buchenhain reiten und dem alten Harvich die traurige Nachricht überbringen? Er ist ja ganz allein. Soweit ich weiß, ist sein zweiter Sohn Hanno in der deutschen Botschaft in Rom. Aber macht Euch um uns keine Sorgen, wir sind sicher bald wieder mit Euch vereint.
Von Eberhard und mir die herzlichsten Grüße, seid umarmt
Euer Jesko
Ferdinand hatte den Brief lauf vorgelesen und Elvira atmete erleichtert auf. »Na, das klingt ja ganz vielversprechend, was denkst du, Ferdi?«
»Ich bin ganz deiner Meinung. Jeskos Brief deckt sich ja auch mit dem, was die Zeitungen berichten.«
»Und du, Aglaia, warum schaust du denn so verzagt?« Elvira streichelte die Hand ihrer Schwiegertochter. »Hast du denn nicht zugehört?«
»Doch, natürlich. Aber der Krieg ist schließlich noch nicht vorbei.«
Am 27 . Juli wurde Aglaias düstere Vorahnung in Form einer Depesche auf Birkenau bestätigt.
Eberhard und Basedow sind gestern Seite an Seite in der Schlacht bei Üttingen gefallen – Stop – Bin untröstlich – Stop – Jesko.
Es war die letzte Schlacht in diesem Krieg. Preußen hatte gesiegt.
Es war ein heißer Tag Anfang August, als Eberhard zu Grabe getragen wurde. Die Fahne auf Birkenau wehte auf Halbmast, und von überall her strömten die Menschen herbei, um Abschied zu nehmen von dem jungen Kaulitz. Alle Freunde der Familie waren gekommen, Gutsbesitzer und Bauern aus der Nachbarschaft, Geschäftsleute aus Insterburg und Gumbinnen sowie die gesamte Dienerschaft von Birkenau, Linderwies und Aschruten. Die Frauen trugen Kirchgangskleider und die Männer lange schwarze Röcke. Kameraden aus Eberhards Regiment waren da, in Uniform mit Orden, und auch Wilhelmine hatte den Weg nach Birkenau gefunden.
»Mein armes Kind, es tut mir unendlich leid.« Ihre Worte klangen aufrichtig, das fand sogar Elvira. Eberhards Sarg stand in der Kapelle. Man hatte ihn geschlossen. Sein Kopf war von einer Kugel getroffen worden, doch die Menschen sollten ihn so in Erinnerung behalten, wie sie ihn gekannt hatten. Am Morgen war Elvira allein in ihren Rosengarten gegangen, hatte Hunderte von Rosen geschnitten und damit den Sarg und die Kapelle geschmückt. Viele Menschen fanden keinen Platz mehr in der Kirche und verharrten vor dem weit geöffneten Portal. Aglaia saß in der ersten Bank, neben sich ihre beiden Söhne, die sich eng an sie drängten. Ihr Gesicht war verschleiert, und auf ihrem Schoß lag eine langstielige rote Rose. Nachdem die Trauergemeinde Jesus meine Zuversicht gesungen hatte, hielt Pastor Küster eine herzergreifende Rede. Hin und wieder hörte man ein leises Schluchzen der anwesenden Damen, und auch mancher Herr zückte sein Taschentuch, um sich die feuchten Augen zu wischen. Nachdem der Pastor geendet hatte, trugen Ferdinand, die Goelder-Brüder und Leopold von Troyenfeld den Sarg unter leisen Harmoniumklängen zu dem offenen Grab hinaus, das von unzähligen Kränzen und Blumengebinden umgeben war. Als der Sarg langsam hinabgesenkt wurde, verlor Aglaia zum ersten Mal die Fassung. Sie schlug den Schleier zurück, warf die Rose auf den Sarg und rief schluchzend »Leb wohl, mein Geliebter. Ich …«, sie drückte die beiden weinenden Jungen an sich, »… wir werden dich niemals vergessen.«
Jesko war ein gebrochener Mann. Äußerlich bewahrte er Haltung und hielt sich aufrecht, aber wer ihn kannte, ahnte, wie sehr er litt. Elvira wusste nicht, wie sie ihn trösten sollte. Ihr eigener Kummer über das entsetzliche Geschehen und die unendliche Trauer Aglaias machten sie hilflos. Tagsüber schien die junge Witwe gefasst und versuchte ihren
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