Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
höre, hat er nur Unsinn im Kopf. Eberhard würde ihm die Hammelbeine langziehen. Aber ich bin dafür leider zu alt.«
»Ach, nu reg dich man nicht so auf, Jesko«, beschwichtigte Elvira. »Ellart ist noch jung und manchmal eben ein bisschen übermütig.« Gott sei Dank wusste niemand, dass sie Ellart schon öfter kleine Summen zugesteckt hatte, wenn er, wie sie meinte, mit seinem Taschengeld nicht ausgekommen war.
»Ach, liebstes Omamachen«, schmeichelte er dann, »wenn ich erst Großpapa Wallersteins Erbe antrete, verwöhne ich dich nach Strich und Faden.«
»Ach, Jungchen, du weißt doch, wie lieb ich dich hab.« Elvira konnte ihm einfach nicht widerstehen.
Eine Weile herrschte Schweigen. »Ellart bräuchte eine starke Hand«, unterbrach Aglaia die Stille. Sie sah zu Ferdinand hinüber, der sich während der ganzen Debatte hinter seiner Zeitung verschanzt hatte. »Was meinst du, Onkel Ferdi, kannst du nicht mal mit ihm reden?«
»Nun lasst ihn erst mal die Schule fertig machen. Dann werde ich, wenn es sein muss, mein Möglichstes tun.«
Punkt sechs betrat Alexander die Schreibstube seines Großvaters. Jesko erwartete ihn schon. »Nun, mein Jungchen, was gibt es denn Wichtiges? Komm, sprich von der Leber weg.« Mit einer Handbewegung bot er Alexander einen Platz an.
»Danke Großvater, ich möchte lieber stehen.« Er holte tief Luft. Offensichtlich fiel es ihm nicht leicht, das zu sagen, was er schon längst hatte tun wollen. »Es ist … also, Großvater … ich weiß, was von mir erwartet wird. Es ist schließlich Kaulitz’sche Tradition. Aber ich möchte nicht zum Militär.« Nun war es heraus, endlich! Wieder atmete er tief auf. »Ich möchte Landwirt werden, wie Vater. Ich fühle mich dazu berufen, Großvater. Das Land, unser Land, liegt mir am Herzen. Die Tiere, der Wald, das alles ist mein Leben. Ich will nicht exerzieren, Rekruten drillen und ansonsten untätig im Kasino herumsitzen, bis die Herren in Berlin mal wieder entscheiden, dass irgendwo Krieg ist. Und seit Vaters Tod … ist mir Krieg einfach zuwider.« Er schwieg einen Moment. »Kannst du mich verstehen, Großvater?«
Jesko hatte zwei Cognac eingegossen. »Nun setz dich doch, mein Junge.« Er reichte Alexander ein Glas und prostete ihm zu. Eine Welle der Zärtlichkeit durchströmte ihn. Was war das doch für ein prachtvoller Junge, sein Enkel. »Wenn dich jemand versteht, dann bin ich das. Wer sein Land liebt, wird es in Ehren halten, pflegen und dafür sorgen, dass es nicht verkommt. Aber das verlangt viel Arbeit und Opferbereitschaft. In den letzten Jahren waren wir gesegnet mit guten Ernten, aber es wird auch wieder Rückschläge geben, darüber musst du dir im Klaren sein.«
»Ich bin mir dessen voll bewusst. Vater hat oft mit mir darüber gesprochen«, sagte Alexander. »Aber glaub mir, Großvater, ich werde arbeiten wie ein Pferd. Es gibt nichts, was mir mehr am Herzen liegt als unser Land, unser Ostpreußen.«
»Und ich möchte nichts weiter, als dass du glücklich wirst. Vielleicht ist Ellart dazu bereit, die Kaulitz’sche Tradition fortzusetzen. Jedenfalls wird niemand dich oder auch deinen Bruder dazu zwingen, zum Militär zu gehen.«
Alexander war aufgesprungen und küsste seinem Großvater die Hand. »Danke! Ich danke dir so sehr.« Sein Gesicht, das dem seines Vaters so ähnlich war, strahlte.
»Setz dich wieder, Jungchen«, sagte Jesko. »Es gibt da noch einiges zu bereden. Wenn du nach der Schule ein paar Monate nach England gehen möchtest, habe ich nichts dagegen. Aber dann musst du dir in einer fremden Wirtschaft den Wind um die Ohren wehen lassen, wenigstens ein Jahr lang. Hier in Linderwies oder Schernuppen wirst du immer der junge Graf sein, da lernst du nichts. Dann solltest du noch ein wenig studieren. Die landwirtschaftliche Fakultät an der Königsberger Universität hat einen ausgezeichneten Ruf. Und ja, danach könntest du hier die Wirtschaft übernehmen. Also wenn dir das recht ist.«
»Aber natürlich, Großvater.« Alexander hielt es nicht auf seinem Stuhl, er lief jetzt wieder aufgeregt hin und her. »Ich bin mit allem einverstanden. Nur nach England möchte ich nicht unbedingt. Onkel Clemens ist ein völlig Fremder für mich, ich kenne ihn ja kaum. Am liebsten würde ich wirklich gleich nach der Schule mit meiner Ausbildung beginnen.«
»Nun gut, das soll mir recht sein.« Jesko sah auf seine Taschenuhr. »Meine Güte, es ist schon spät. Man erwartet uns längst zum Essen. Komm, mein Junge, dann
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