Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Söhnen Trost zu spenden. Aber nachts hörte Elvira ihr verzweifeltes Schluchzen, und wenn sie morgens übernächtigt und mit geröteten Augen zum Frühstück erschien, sah man ihr den Kummer an.
Das gemeinsame Leid schweißte Aglaia und Minchen Basedow zusammen. Wenn sie in Linderwies in der Küche saßen, weinten sie um ihre Männer und ließen ihren Tränen freien Lauf. »Wat soll bloß aus uns werden, jetzt wo mein Herbertchen nich mehr is«, jammerte Minchen verzweifelt, und Aglaia fiel nichts weiter ein, als zu sagen: »Kommt Zeit, kommt Rat, Minchen. Es wird sich alles finden.«
Und auch die Freundschaft zwischen Alexander und Franz war durch das schreckliche Geschehen noch enger geworden. Verzweifelt fragten sie nach dem Warum und fanden Gott, der doch die Menschen beschützen sollte, nur ungerecht. Noch waren Ferien, die Ernte musste eingefahren werden, und jede Hand wurde gebraucht. Alexander und Franz packten an, wo sie nur konnten, und lenkten sich mit der Arbeit von ihrem Kummer ab. Mehrmals forderte Alexander seinen Bruder auf, doch auch mitzuhelfen. Aber Ellart lehnte strikt ab und schloss sich in seinem Zimmer ein. Elvira, die immer eine Entschuldigung für ihren Liebling fand, schob es auf den Kummer um seinen Vater. In Wahrheit aber hasste Ellart nichts mehr als körperliche Betätigung. Überhaupt war ihm jegliche Art von Arbeit ein Gräuel, und das sollte sein Leben lang so bleiben.
Jesko, der in den letzten Jahren die Verwaltung der Gutsbetriebe weitgehend Eberhard und den Inspektoren überlassen hatte, nahm jetzt wieder Eberhards Stelle ein. Er handelte mit den Einkäufern für Getreide und Kartoffeln die Preise aus, besprach mit den Förstern das Abholzen einiger Waldstriche und inspizierte die Felder, oft in Begleitung von Alex. »Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel das Jungchen bereits über die Landwirtschaft weiß«, berichtete er dann abends Elvira. »Er kommt ganz nach mir und Eberhard.« Und in seiner Stimme schwang Stolz mit und auch ein wenig Glück darüber, einen solchen Enkel zu haben.
»Wir werden einen Ersatz für Basedow suchen müssen«, kündigte Jesko eines Tages an. »Plenzrat arbeitet wie ein Kümmeltürke. Er geht wirklich an seine Grenzen, wir können nicht warten, bis er uns zusammenbricht.«
Aglaia, die schon lange befürchtet hatte, dass das kommen würde, sah ihren Schwiegervater entsetzt an. »Und was wird aus Minchen und ihren Kindern?«
»Bis wir einen neuen Mann gefunden haben, kann sie selbstverständlich in Linderwies wohnen bleiben. Aber dann wird sie wohl zu ihrer Familie nach Kalitken zurückgehen müssen.«
»Das ist ja schrecklich!« Aglaia war den Tränen nahe. »Die arme Frau, und denk bloß an Alexander und Franz – sie sind doch unzertrennlich.«
»Tja … das ist in der Tat bedauerlich. Aber wie stellst du dir das denn vor?«
»Ich habe eine Idee«, rief Aglaia aufgeregt. »Warum bin ich bloß nicht schon früher darauf gekommen? Seit die alte Hertha nicht mehr ist, haben wir schon zwei Mal die Mamsell gewechselt, und die neue ist ja auch nicht gerade doll.«
»Nee, wirklich nicht«, warf Ferdinand ein. »Wenn ich an die Königsberger Klopse von gestern denke …« Er rollte in komischer Verzweiflung die Augen.
»Minchen Basedow ist eine fabelhafte Köchin«, fuhr Aglaia aufgeregt fort. »Sie könnte doch für uns als Mamsell arbeiten. Was haltet ihr denn davon?«
»Eine wunderbare Idee«, rief Elvira.
Und Jesko meinte: »Na, dann fahr man morgen gleich rüber. Von mir aus kann sie sofort anfangen.«
Minchen Basedow war überglücklich. Fast wäre sie Aglaia vor Freude um den Hals gefallen. »Ach, Frau von Kaulitz, wat Sinse doch fürn gjuter Mensch! Mein Franzchen war schon gjanz bedripst. Ich hab die Kinderchens in der letzten Zeit ja schon drauf vorbereitet, dat wir bald hier wegmüssen, und nu dürfen wir nach Birkenau!« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht glauben, was sie da eben gehört hatte. »Nu ne nich … was is dat aber auch ’ne Freude. Mein Lenchen, die is ja schon sechzehn, die kocht schon fast so gut wie ich. Die kann feste mit anpacken in der Küche. Der Herr Gjraf wird mit uns zufrieden sein, gjanz bestimmt.«
»Da bin ich mir ganz sicher, Minchen, wir alle werden das.« Minchens Gesicht wurde mit einem Mal ernst. »Was mein Franzchen is, der gjeht ja noch zwei Jahre inne Schule. Dann will er Inspektor werden wie sein Vatche selig. Aber das Mäxchen würd ja so gjern in Linderwies bei seine Tiere
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