Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Tag. Wie gern wäre ich bei Dir. Du weißt das, aber ich habe Schuld auf mich geladen, und nun muss ich dafür büßen. Bei allem Unglück, in mir wächst ein Menschlein, es pufft und strampelt und erinnert mich daran, dass ich noch am Leben bin. Werden wir uns jemals wiedersehen? Ich weiß es nicht. Es liegt in Gottes Hand. Ich lasse mich treiben vom Wind des Schicksals. Heute Abend, ich kann es kaum erwarten, werden wir, auch wenn wir uns nicht hören können, miteinander sprechen. Bei dem Anblick des herrlichen Himmels über Ostpreußen mit unseren Sternen, die Dich beschützen sollen Dein ganzes Leben lang.
Ein Engel, dessen Namen ich nicht nennen kann, hat meine Gebete erhört und mir eines Tages Papier und Feder gegeben. Ich schreibe diesen Brief, obwohl er dieses Kloster niemals verlassen wird. Deine Mutter hat es verboten. Aber es ist mir ein Trost, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Werde glücklich, meine geliebte Aglaia. Vergiss mich nicht, Du meine geliebte Cousine, die ich meine Schwester nenne, weil ich Dich so sehr liebe, und die Du mir meine Kindheit so lebenswert gemacht hast. Leb wohl.
Immer Deine Tanya
Sie war im Innersten aufgewühlt. Um zehn Uhr suchte sie an dem klaren Himmel ihren Stern und sprach zu ihrer geliebten Schwester. »Ich weiß, du hast mir deine Tochter geschickt. Ich bin ja so unendlich glücklich.« Noch ahnte niemand, dass sich Alexander Hals über Kopf in Amalie verliebt hatte.
Amalie ersparte ihrer neuen Familie die erniedrigenden Umstände ihrer Heirat. Als man sie fragte, warum sie als Ellarts Frau nicht schon früher gekommen sei, sagte sie: »Eine Woche nach unserer Hochzeit starb Ellart bei einem Duell. Mein Vater war damals schon sehr krank, und wir verbrachten die Zeit, die ihm noch blieb, in einem Kurort in der Schweiz.«
Als es darum ging, wo Amalie und Franziska in Zukunft wohnen sollten, entbrannte eine heftige Diskussion. Jeder erhob Anspruch auf das neue Familienmitglied, bis Alexander schließlich sagte: »Vielleicht lasst ihr das Amalie entscheiden.«
Wieder traf ihn ein dankbarer Blick. »Ich weiß nicht recht … Vielleicht könnte ich eine Woche auf Wallerstein und eine Woche auf Birkenau sein – wenn euch das recht ist. Und wir können uns ja auch gegenseitig besuchen.« Amalie wollte es möglichst allen recht machen.
Ein paar Tage später ritt Alexander mit Amalie nach Linderwies. »Bisher hast du ja kaum etwas von unserem schönen Ostpreußen gesehen«, hatte er zu ihr gesagt. Er führte sie auf dem Gut herum, zeigte ihr die Stallungen und seine prachtvollen Pferde auf den Koppeln. Zu allem stellte Amalie kluge Fragen. Als sie in sein Büro kamen, erklärte er: »Hier arbeite ich, wenn ich nicht auf dem Feld bin. Allerdings weiß ich nicht wie lange noch.«
Amalie sah ihn erstaunt an. »Wie meinst du das? Ich denke, du liebst deine Arbeit hier?«
»Oh ja, das tue ich.«
»Ja aber willst du weg aus Ostpreußen?«
»Von Wollen kann keine Rede sein. Ich werde wohl müssen. Wir sind kurz davor, unser herrliches Gut zum Verkauf anzubieten. Die Bank will uns keinen neuen Kredit mehr geben. Wir hatten drei schrecklich schwere Jahre, das übersteht man nicht so einfach.« Auf dem Heimweg, kurz vor dem kleinen Birkenwald, zügelte Alexander sein Pferd und sprang ab. »Komm, lass uns einen Moment ausruhen.« Er half Amalie vom Pferd und legte sein Taschentuch auf einen umgekippten Baumstamm. Schweigend blickte sie in die vor ihr liegende herrliche Landschaft. Im Hintergrund waren die Gebäude von Linderwies zu sehen. Alexander hatte den Arm um sie gelegt.
»Es ist so wunderschön hier«, sagte sie.
»Ja, das ist es. Und es wird mir unendlich schwerfallen, hier wegzugehen, alles zu verlassen, mein Land, meine Familie … und vor allem dich.« Er sprang auf. »Ach lass uns nicht sentimental werden«, rief er übertrieben fröhlich. »Wir sollten nach Hause reiten. Man erwartet uns sicher schon zum Kleinmittag.«
Wenn Amalie und Franziska auf Wallerstein waren, fand Alexander immer einen Grund, von Birkenau herüberzukommen, und bald war allen klar, warum. Er liebte Amalie.
Es dauerte nicht lange, da hatten alle Amalie in ihr Herz geschlossen. Sie war Tanya nicht nur äußerlich so ähnlich, sie hatte auch das gleiche liebe Wesen ihrer Mutter geerbt. Und Franziska wurde von allen nach Strich und Faden verwöhnt, keinen Wunsch konnte man dem entzückenden Kind abschlagen.
Seit einiger Zeit war in Amalie ein Plan gereift. Ein paar Wochen später, bei
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