Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
ihr unbequem, sich direkt am Klatsch zu beteiligen, was aber nicht hieß, dass sie sich nicht brennend für all das interessierte. Aber zu ihrem Verdruss wechselte die Gräfin sofort das Thema, und die Kommerzienrätin griff wieder zu ihrem Strickzeug.
»Warst du nicht kürzlich bei deinen Verwandten auf Schloss Birkenau, Elvira?«, fragte Wilhelmine. »Wie geht es denn dem Grafen Kaulitz? Wir haben ihn eine Weile nicht gesehen. Seit dem Tod seiner Frau hat er sich ja sehr zurückgezogen. War es gemütlich? Erzähl doch mal.«
»Es war reizend. Man isst hervorragend. Das Schloss ist neu renoviert und wunderbar eingerichtet, die Diener in Livree, glatt rasiert …«
»Was, glatt rasiert?«, fiel ihr Frau Kommerzienrat Heller ins Wort »das hätte es in meiner Jugend nicht gegeben!« Ihre Stricknadeln klapperten empört.
»Nun, die Zeiten ändern sich«, lächelte die Baronin amüsiert. »Übrigens geht es Jesko, meinem Cousin – wir sind wirklich nur sehr weitläufig verwandt –, sehr viel besser, seit sein Sohn Eberhard seinen Abschied genommen hat. Er lebt jetzt auf Birkenau und hat die Verwaltung der schlosseigenen Güter übernommen.« Sie nahm einen Schluck Tee. »Er war ja immer mehr Landwirt als Soldat.«
»Ich weiß, sehr zum Kummer seiner Mutter.« Kommerzienrätin Heller rümpfte die Nase. »Sie liebte ja alles, was mit Militär zu tun hatte. Immer wieder wusste sie zu erwähnen, was für ein hochrangiger und schneidiger Offizier ihr Vater gewesen ist.«
»Eberhards Abschied von den Ulanen war ja wohl nicht ganz freiwillig«, warf Wilhelmine jetzt ein. »Wie gut, dass die Kaulitz das nicht mehr erleben musste.«
Die Kommerzienrätin nickte verständnisvoll, während Elvira laut auflachte. »Alle Welt weiß, dass der arme Junge von seinem Rittmeister erwischt wurde, als er drei Stunden nach dem Zapfenstreich und auch wohl etwas derangiert in seine Garnison zurückkam. Man hätte das als Kavaliersdelikt abtun können, aber dieser Rittmeister hat es an die große Glocke gehängt.«
»Und nun ist der junge Graf degradiert und nur noch Offizier der Reserve. Der ganze Landkreis hat sich ja darüber echauffiert«, fügte Wilhelmine spitz hinzu.
»Eine Schande ist das, eine Schande«, murmelte die Kommerzienrätin.
»Macht euch doch nicht lächerlich!« Elvira war jetzt erbost. Diese Diskussion begann ihr auf die Nerven zu gehen. »Weder Jesko noch Eberhard machten mir einen unglücklichen Eindruck, das scheint mir doch die Hauptsache zu sein. Und solch Geschwätz hat sie noch nie interessiert. Übrigens erwähnte Jesko, dass du sie zu eurer Saujagd eingeladen hast, Wilhelmine. Offensichtlich hat dich diese ›Schande‹ nicht davon abgehalten.« Es machte Elvira höllischen Spaß, ihre Freundin zu ärgern. Sie wusste, wie sehr dieser daran lag, den seit einigen Jahren eingeschlafenen gesellschaftlichen Verkehr mit den von Kaulitz wieder aufleben zu lassen. Schließlich gehörten sie zu den einflussreichsten und größten Grundbesitzern des Landkreises.
Wilhelmine schoss giftige Blicke in Richtung ihrer Freundin. »Man muss auch vergessen können«, sagte sie leichthin. »Was meinst du denn, Elvira, werden sie kommen?« Man sah ihr an, dass sie vor Neugierde platzte.
»Jesko war sich noch nicht ganz sicher«, flunkerte Elvira. Sollte Wilhelmine doch noch ein paar Tage in Ungewissheit schmoren. »Er wird dir eine Note schicken. Übrigens, Eberhard hat sich nach Aglaia und Tanya erkundigt. Er meinte, die entzückenden kleinen Mädchen müssten ja inzwischen bildhübsche junge Damen geworden sein. Er hat sie jahrelang nicht gesehen.«
Ehe Wilhelmine antworten konnte, meinte die Kommerzienrätin, nun doch noch etwas zur Konversation beitragen zu müssen. Unaufhörlich mit ihrem Strickzeug klappernd, sagte sie: »Ihre Mamsell, beste Gräfin, hat mir kürzlich das Rezept für die wunderbare Blaubeermarmelade gegeben. Ich weiß nicht, irgendwie ist sie mir nicht gelungen.«
»Da werden Sie wohl etwas falsch gemacht haben, meine Liebe«, sagte Elvira, sich erhebend. Sie wusste, jetzt würde die Mamsell gerufen, man würde über Blaubeermarmelade palavern, und sie hasste nichts mehr als Gespräche über Kochrezepte.
»Willst du schon gehen?«, fragte Wilhelmine erstaunt.
»Ja, ich muss mich leider verabschieden. Ich habe ganz vergessen, dass mich meine Schneiderin in Insterburg zur Anprobe erwartet.«
»Was, du lässt dir neue Kleider machen?« Wilhelmine sah sie fassungslos an. »Doch wohl nicht etwas
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