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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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Farbiges! Du bist doch in Trauer.«
    »Ich bin jetzt über ein Jahr in Schwarz herumgelaufen, und du weißt genau, wie sehr ich um Manfred getrauert habe. Aber nun ist damit Schluss, ob es dir passt oder nicht.« Sie sagte das ganz ruhig, obwohl sie innerlich kochte. »Ich denke nämlich nicht daran, die nächsten zwanzig Jahre als trauernde Witwe zu verbringen, und noch weniger will ich eine dicke Matrone werden …« Im letzten Moment verkniff sie sich das »wie du«.
    Ächzend versuchte die Gräfin, sich aus ihrem Sessel zu erheben, um ihre Freundin zu verabschieden.
    »Lass nur, Wilhelmine, bleib sitzen. Ich finde schon allein hinaus. Bis bald und auf Wiedersehen, Frau Kommerzienrat.«
    Der Wind hatte nachgelassen, und durch eine Wolkenlücke schimmerte die blasse Sonne hervor. Fest in ihre Felldecke gewickelt, genoss Elvira von Welsen die Fahrt durch die verschneite Landschaft. ›Schrecklich, diese alte Heller‹, dachte sie, ›was Wilhelmine bloß an ihr findet?‹ Aber eigentlich, wenn sie es recht bedachte, war ihre alte Freundin auch nicht viel besser als die Kommerzienrätin. Was war nur aus der ›schönen Wilhelmine‹ ihrer Jugend geworden? Elviras Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Sie und Wilhelmine waren gleich alt, seit ihrer Kindheit befreundet und hatten alle Geheimnisse miteinander geteilt. Ihre Eltern hatten miteinander verkehrt, später besuchten sie beide dasselbe Mädchenpensionat und heirateten sogar im gleichen Jahr. Elvira den etwas älteren Manfred von Welsen, einen Königsberger Bankier, und Wilhelmine Horst von Wallerstein, den schönsten Mann des Landkreises und das Objekt der Begierde aller heiratsfähigen jungen Damen. Aber Wilhelmine hatte alle aus dem Feld geschlagen. Zwar war sie von niederem Adel, Horsts Mutter war darüber nicht gerade entzückt gewesen, aber dafür eine außergewöhnliche Schönheit. ›Wenn ich Aglaia sehe, denke ich immer, Wilhelmine steht vor mir‹, dachte Elvira. ›Wie schade, dass sie sich dermaßen gehenlässt.‹ Sie seufzte. Was hatte sie für eine traumhafte Figur gehabt und dazu dieser verschleierte Blick! Und was ist jetzt aus ihr geworden – sie ist aus dem Leim gegangen, die schönen Augen eingebettet in Fett und Tränensäcke. Kaum zu glauben, dass sie erst siebenundvierzig Jahre alt ist. Wie eine sechzigjährige Matrone sieht sie inzwischen aus. Und richtig bösartig ist sie inzwischen. Wie sie mit der armen Tanya umgeht, ist ein Skandal, wirklich! Und das schon seit so vielen Jahren … Ja, ja, ihre alte Freundin ist schon lange nicht mehr die, die sie mal so sehr bewundert hatte. Kaum erstaunlich, dass Horst immer mehr Zeit in Berlin verbringt. Na gut, es ist Revolution – jedenfalls hört man ständig davon. Aber hier in Ostpreußen, auf dem Land konnte man sich das gar nicht so richtig vorstellen. Ob er nicht doch eine Geliebte in Berlin hat, wie man munkelte? Wilhelmine hatte wohl noch nichts davon mitgekriegt. Jedenfalls hatte sie bisher nichts erwähnt. Elviras Gedanken wanderten zu Manfred, ihrem verstorbenen Mann. Er hatte sie geliebt. Immer wenn sie von Wilhelmine geschwärmt hatte, hatte er ihr gesagt, wie entzückend er sie selbst fand. »Du gefällst mir viel besser als sie. Du bist so süß und hübsch, so zierlich, und ganz besonders liebe ich dein entzückendes Stupsnäschen und die blonden Locken.«
    Elvira wusste, er mochte keine dicken Frauen, und immer, wenn ihr Mieder etwas enger saß, aß sie von allem nur noch die Hälfte. Bis jetzt hatte sie es so gehalten, und sie beabsichtigte auch nicht, das zu ändern. Manfred hatte ihr ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. ›Jetzt ist die Trauerzeit vorbei‹, dachte sie, ›und ich werde mein Leben genießen. Auf keinen Fall werde ich in meinem Witwentum aufgehen. Wilhelmine wird sich noch wundern.‹ Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch. Der Schlitten hielt in der Wilhelmstraße vor dem Haus von Frau Klühspieß, ihrer Schneiderin.
    Der Graf war schon früh am Morgen nach Wallerstein zurückgekehrt. Er saß bereits im Frühstückszimmer bei der Lektüre der Neuen Preußischen Zeitung , als Aglaia hereinstürmte. »Papachen, wie schön, dass du wieder da bist.« Strahlend fiel sie ihrem Vater um den Hals.
    »Mein Liebling!« Er drückte seine Tochter fest an sich, um sie dann mit beiden Armen von sich zu schieben. »Jedes Mal, wenn ich wieder nach Hause komme, bist du noch hübscher geworden«, sagte er, »und meine Angst, dass dich mir jemand wegnehmen

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