Himmel über Tasmanien
Pülverchen wirken nicht, mir wird schlecht davon.«
Er wirbelte herum und funkelte sie wütend an. »Zieh dich sofort an!«, brüllte er. »Der Gouverneur erwartet von uns, dass wir kommen, und ich werde nicht zulassen, dass du mich blamierst!«
Clarice fuhr zusammen, blieb aber standhaft. »Du musst nicht schreien«, sagte sie kühl. »Ich bin mir sicher, halb Sydney wünscht deinen Wutausbruch nicht mit anzuhören.«
Sein finsterer Blick blieb, doch seine Stimme war jetzt leiser und bebte vor Zorn. »Tu, was ich dir sage, Frau, und beeil dich.«
Clarice wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, und verließ das Ankleidezimmer. Tränenblind vor Wut marschierte sie den Flur entlang und schlug die Schlafzimmertür so heftig hinter sich zu, dass die Fensterscheiben klirrten.
Das Dienstmädchen sprang vom Stuhl auf und hielt ihr das hellgelbe Kleid entgegen, das Algernon speziell für den Ball gekauft hatte.
»Ich trage das Rote«, sagte Clarice.
»Aber der Herr …«
»Das Rote, Freda.«
Das kleine Dienstmädchen vernahm die Entschlossenheit in ihrer Stimme und holte zögernd das Kleid aus dem Schrankkoffer. Es war aus dunkelroter Seide, zu einer weichen Turnüre drapiert, die von einem Bündel Seidenblumen gehalten wurde. Und es hatte ein gewagtes Dekolleté, das ihre schlanken Schultern und ihren noch immer kecken Busen betonte.
Clarice stieg in den Petticoat, wies Freda an, das Korsett möglichst locker zu binden, und hob die Arme, damit die rote Seide über ihren Körper fallen konnte. Ungeduldig wartete sie, bis Freda die winzigen Knöpfe im Rücken des Kleides geschlossen hatte, und setzte sich dann vor den Spiegel, während das Mädchen ihr die Frisur richtete.
Die Auswirkung ihrer Wut war recht bemerkenswert, denn ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen funkelten, und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich schön. Freda hatte ihre hellen Locken hochgesteckt und mit dem Rubindiadem von Algernons Mutter befestigt. Weitere Rubine glitzerten an ihren Ohren und an ihrem Hals, betonten ihre blasse Haut und die trotzige Rötung ihrer Wangen. Sie tupfte Parfüm an Hals und Handgelenke und nickte anerkennend.
»Der wird so was von sauer sein«, sagte Freda naserümpfend.
»Gut.« Clarice griff nach dem hauchzarten Schultertuch, das Lionel ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, warf noch einmal einen Blick auf ihr Spiegelbild und rauschte aus dem Zimmer.
Algernon schritt mit der Uhr in der Hand und grimmiger Miene in der Eingangshalle auf und ab. Er blickte auf, als sie näher kam, und sein Gesicht lief dunkel an. »Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst das Gelbe nehmen?«
Clarice reckte ihr Kinn vor. »Ich ziehe Rot vor.«
»Das ist die Farbe von Dirnen«, fuhr er sie an.
Neuerdings hatte Algernon die Religion für sich entdeckt, aber Clarice wusste, dass dies nur eine weitere Waffe in seinem Arsenal war, um seine Ritterwürde zu erlangen, und ließ sich nicht einschüchtern. »Es ist die Farbe von Rosen«, hielt sie ihm entgegen, »und da wir schon spät dran sind, ist keine Zeit mehr, mich umzuziehen.«
Er zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete sie von oben bis unten, um dann zur wartenden Kutsche zu gehen, ohne ein Wort zu verlieren.
Mit hoch erhobenem Kopf folgte Clarice ihm. Nachdem er offenbar wild entschlossen war, dass sie am Ball teilnahm, war sie ebenso wild entschlossen, ihren Spaß daran zu haben.
Regierungssitz, am selben Abend
Clarice hatte den ganzen Abend getanzt, denn Algernon hatte sie praktisch nicht mehr beachtet, seit er sich auf ein langweiliges Gespräch mit einem anderen Diplomaten eingelassen hatte. Und da sie sich selbst überlassen war, hatte sie festgestellt, dass sie sehr gefragt war.
Ihr war heiß, sie war außer Atem, nahm von dem vorbeikommenden Kellner noch ein Glas entgegen und trank in durstigen Zügen. Der Raum war ein Wirbel aus den Farben der glitzernden Kleider und dem Scharlachrot der Uniformen, und während das Orchester weiter begeistert aufspielte und der Lärm noch anstieg, spürte sie allmählich die Wirkung von Hitze, Lärm und zu vielen Gläsern Champagner.
Sie schaute sich um. Algernon war noch immer beschäftigt, Eunice tanzte mit Lionel, und Gwendoline flirtete ungehemmt mit einer Gruppe junger Offiziere. Clarice schien man vergessen zu haben, doch sie schauderte bei dem Gedanken, zwischen den Witwen und unverheirateten Tanten zu sitzen, die in einer Ecke tratschten. Bis Mitternacht war noch eine Stunde – der ideale Zeitpunkt, ein
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