Himmel über Tasmanien
sagte Molly. »Im Fliegenschrank steht Essen, das kann sie unten in der Hütte einnehmen.«
»Warum kann sie nicht hier oben bei uns essen?«
»Ich hab zugestimmt, dass sie hier wohnt«, erwiderte sie angespannt, »aber ich will sie nicht in meinem Haus haben. Wenn sie etwas braucht, kann Dianne es hinunterbringen.«
Joe betrachtete das Mädchen, das so tat, als hörte es dem Wortwechsel nicht zu, während es Geschirr spülte. Dianne war vierzehn, klein, dünn, hatte einen trägen Blick und einen Riecher für Tratsch und würde zweifellos alles, was sie mitbekam, ihrer auf Klatsch versessenen Familie erzählen. »Miss Pearson will wahrscheinlich ohnehin nicht lange bleiben«, sagte er gleichmütig.
Molly zuckte mit den Schultern und machte sich mit demBügeleisen über das frisch gewaschene Bettlaken her. »Solltest du nicht schon auf dem Weg sein?«, fragte sie.
Er schaute auf seine Uhr und griff nach seinem Hut. »Wann bist du denn wieder zurück, Mum?«
»Spät«, antwortete sie, knallte das Bügeleisen auf die heiße Platte des Herdes und nahm ein anderes zur Hand. »Dianne ist für das Abendessen zuständig. Also werdet ihr nicht verhungern.«
Joe wandte sich ab, damit sie das Lachen in seinen Augen nicht sah, und eilte hinaus zum Transporter. Seine Mutter war eine harte Nuss, aber er sah ihr an, dass ihre angeborene Neugier allmählich die Oberhand gewann, und er vermutete, dass es nicht lange dauern würde, bis sie einen heimlichen Blick auf ihre Besucherin werfen würde.
Während er über die schmalen, unbefestigten Wege fuhr, gingen ihm unzählige Gedanken durch den Kopf. Seine Mutter war von der Cole offensichtlich sehr verletzt worden, doch da sie sich weigerte, sich über die näheren Umstände auszulassen, konnte er nur Mutmaßungen anstellen. Sein Vater musste eine Affäre mit ihr gehabt haben, aber war das vor oder nach der Heirat mit Mum gewesen?
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, während der Wagen über den unebenen Boden holperte. Die Gerüchte waren zahlreich – eine Mischung aus halb vergessenen Erinnerungen, altem Groll und überschäumender Phantasie, angefacht von Doreens abgehörten Ferngesprächen. Das war das Problem mit den Tasmaniern – wenn sie die ganze Geschichte nicht kannten, erfanden sie den Rest einfach dazu. Und es war erstaunlich, wie nah sie damit häufig der Wahrheit kamen. Seine Heimatinsel mochte zwar nur so groß sein wie die Schweiz, aber sie war dünn besiedelt, und die Bevölkerung war einander eng verbunden – ein hervorragender Nährboden dafür, sich um anderer Leute Angelegenheiten zu kümmern.
Der unbefestigte Weg war zu Ende, und die Räder summten auf dem Asphalt, als er Gas gab. Er war ebenso schuldig wie alle anderen, wenn es darum ging, Vermutungen über Miss Pearson anzustellen, denn obwohl ihre bevorstehende Ankunft eine Lawine von Klagen über Gwen ausgelöst hatte, war anscheinend niemand bereit, über ihre Tochter zu sprechen, und das machte ihn neugierig.
»Wahrscheinlich, weil sie nichts über sie wissen«, murmelte er vor sich hin, als er in die Außenbezirke von Launceston fuhr und den Weg zum Hafen einschlug. »Das wird sich ohne Zweifel ändern, sobald sie einen Blick auf sie geworfen haben.«
Er parkte den Wagen an dem üblichen Platz neben der Kate des Hafenmeisters und stellte den Motor ab. Von der Rotamahana war noch nichts zu sehen, daher stieg er aus und schlenderte an den Strand, um sich die Beine zu vertreten. Es war ein perfekter Frühlingstag, die Sonne schien, der Himmel war klar, und es wehte ein frischer Wind. Wenn das Wetter bis Ende des Monats so bliebe, ohne Nachtfrost, wäre das Geläuf in Hobart ideal für Ocean Child.
Er lächelte schief, als er auf das funkelnde Wasser und die hüpfenden Regenpfeifer hinausschaute. Wenigstens das Wetter war entgegenkommend, aber er hoffte, Miss Pearson war dickhäutig genug, um mit der ihr fraglos entgegengebrachten Neugier und Feindseligkeit zurechtzukommen.
Sie hatten beide wenig Schlaf gefunden, während die Rotamahana durch das raue Wasser der Bass Strait stampfte und schlingerte. Lulus Schlaflosigkeit hatte weder an der turbulenten Überfahrt gelegen noch an Dollys Seekrankheit, sondern an dem Wissen, dass jede Schiffsbewegung sie näher ans Ufer brachte.
Dolly war es gar nicht gut gegangen, doch als sie schließlich in einen erschöpften Schlaf fiel, hatte Lulu sich rasch angezogen und war an Deck gegangen. Die frische Luft hatte sie wie ein Schlag getroffen, und sie
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