Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Rückfahrkarte gekauft mit den Worten: »Man kann nie wissen, wie sich das ausgehen wird mit ihm und ihr.« An diese Fahrkarte hatte ich in dem Augenblick gedacht, als ich sah, wie Queenie Andrews Brief in ihren Schlüpfer steckte. Obwohl ich da noch nicht wusste, dass der Brief von Andrew war.
Ich war nicht einfach so nach Toronto gekommen oder nur gekommen, um mir Arbeit für den Sommer zu suchen. Ich war gekommen, um ein Teil von Queenies Leben zu sein. Oder notfalls ein Teil von Queenies und Mr Vorguillas Leben. Sogar als ich mir vorstellte, dass Quenie zu mir ziehen könnte, hatte dieser Tagtraum etwas mit Mr Vorguilla zu tun, weil sie es ihm heimzahlen würde.
Und wenn ich an die Rückfahrkarte dachte, setzte ich noch etwas anderes voraus. Dass ich zurückfahren und wieder bei Bet und meinem Vater wohnen und ein Teil ihres Lebens sein konnte.
Mein Vater und Bet. Mr und Mrs Vorguilla. Queenie und Mr Vorguilla. Sogar Queenie und Andrew. Alles Paare, und ein jedes, mochte es noch so schlecht zusammenpassen, hatte jetzt oder in der Erinnerung eine private Höhle mit eigener Hitze und Unordnung, die mich nicht mit einschloss. Und ich musste, ich wollte ausgeschlossen sein, denn ich vermochte in ihrem Leben nichts zu erkennen, was mich belehren oder voranbringen konnte.
Leslie war ebenfalls eine ausgeschlossene Person. Trotzdem erzählte er mir von Menschen, denen er durch Blutsbande oder Freundschaft verbunden war. Von seiner Schwester und ihrem Mann. Seinen Nichten und Neffen, den Ehepaaren, die er besuchte und mit denen er seine Ferien verbrachte. Alle diese Menschen hatten Probleme, aber alle hatten ihren Wert. Er redete von ihrer Arbeit oder ihrer Suche nach Arbeit, ihren Talenten, ihrem Glück und ihren Irrtümern mit großer Anteilnahme, aber ohne Leidenschaft. Er war, wie es schien, von Liebe oder Hass ausgeschlossen.
Später in meinem Leben hätte ich darin ein Manko gesehen. Ich hätte die Ungeduld, ja sogar das Misstrauen empfunden, das eine Frau gegenüber einem Mann empfindet, dem es an einem Beweggrund mangelt. Der nur Freundschaft zu bieten hat und sie so leicht anbietet, dass er sogar nach einer Abfuhr so fröhlich weitermachen kann wie eh und je. Das hier war kein einsamer Bursche, der mit einem Mädchen anbandeln wollte. Sogar ich merkte das. Nur ein Mensch, der am Augenblick und an einer halbwegs intakten Lebensfassade Genüge fand.
Seine Gesellschaft war genau das, was ich brauchte, obwohl mir das kaum klar wurde. Wahrscheinlich war er bewusst freundlich zu mir. So wie ich eben noch und ganz unerwartet freundlich zu Mr Vorguilla gewesen war oder ihn wenigstens beschützt hatte.
Ich war auf dem Lehrerseminar, als Queenie wieder durchbrannte. Ich erhielt die Nachricht in einem Brief von meinem Vater. Er schrieb, er wisse nicht, wie oder wann es genau passiert sei. Mr Vorguilla habe es ihm erst nicht mitgeteilt, aber dann doch, falls Queenie nach Hause zurückkehrte. Mein Vater hatte Mr Vorguilla geschrieben, er halte das für ziemlich aussichtslos. In dem Brief an mich schrieb er, zumindest könnten wir jetzt nicht mehr behaupten, dass Queenie so etwas nicht tat.
Noch jahrelang, sogar noch nach meiner Heirat, bekam ich eine Weihnachtskarte von Mr Vorguilla. Ein Schlitten, beladen mit leuchtend bunten Paketen; eine glückliche Familie in einer geschmückten Haustür, die Freunde willkommen hieß. Vielleicht dachte er, dass solche Szenen mich in meiner gegenwärtigen Lebenssituation ansprechen würden. Oder vielleicht holte er sie wahllos aus dem Kartenständer. Er gab immer seine Adresse an – um sich in Erinnerung zu bringen und mich wissen zu lassen, wo er war, falls ich etwas von ihr erfuhr.
Ich selbst hatte die Hoffnung aufgegeben, etwas von ihr zu erfahren. Ich bekam nicht einmal heraus, ob es Andrew war, mit dem Queenie auf und davon gegangen war, oder jemand anders. Oder ob sie bei Andrew blieb, falls er derjenige war. Als mein Vater starb, hinterließ er etwas Geld, und ich unternahm einen ernsthaften Versuch, sie aufzuspüren, doch ohne Erfolg.
Aber jetzt hat sich etwas ereignet. Seit meine Kinder erwachsen sind und mein Mann im Ruhestand ist und wir beide viele Reisen unternehmen, bilde ich mir ein, manchmal Queenie zu sehen. Nicht, dass ich sie aus einer besonderen Sehnsucht oder Anstrengung heraus sehe, und ich glaube auch nicht, dass sie es wirklich ist.
Einmal geschah es auf einem belebten Flughafen, und sie trug einen Sarong und einen mit Blumen besetzten Strohhut.
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